Kapittel 2

Im Herzen von Berlin, in dem jetzigen Rudolph Hertzogschen Kaufhause, Breitestraße 12, wurde Albert Gustav Lortzing am 23. Oktober 1801 – ein Jahrzehnt nach Mozarts Tode – geboren. Die Vorfahren, deren einer Amt des Scharfrichters inne gehabt hatte, stammten aus Thüringen. Der Großvater unseres Meisters kam aus Dreißigacker bei Meiningen nach Berlin, arbeitete sich aus dienender Stellung zum Buchhalter in die Höhe und machte sich als Lederhändler selbständig. Sein Sohn Johann Gottlob, geboren am 12. Mai 1775, übernahm vom Vater das Geschäft sowie die Hausadministration und verheiratete sich 1799 mit Charlotte Sophie Seidel, die eine französischen Emigrantenfamilie de la Garde entstammte und am 6. April 1780 geboren war. Eine erstgeborene Tochter des jungen Paares starb früh, und Albert blieb die einzige Frucht der überaus glücklichen Ehe.

Trotz der bürgerlichen Abkunft hatten aber doch die Musen an der Wiege dieses Sohnes gestanden. Vater und Mutter waren eifrige Mitglieder des noch heut bestehenden Liebhabertheaters “Urania”, und auch der Knabe wurde bald heimisch in diesem Kreise. Die Liebe zur Musik trat früh bei ihm zutage, und der tüchtige Kammermusikus Joh. Heinr. Griebel (1769-1852) wurde sein Lehrer im Klavierspiel. Karl Friedrich Rungenhagen (1778-1851), der später als Zelters Nachfolger Direktor der Singakademie wurde und mit Vater Lortzing zu den ersten Mitgliedern der Zelterschen Liedertafel gehörte, gab Albert Theoriestunden, so dass dieser schon im ersten Jahrzehnt Lieder, Tänze, Märsche, Sonaten usw. zu komponieren vermochte. Doch nur bis zum Jahre 1811 dauerte dieser regelmäßige Unterricht. Das Ledergeschäft war in der Zeit der Franzosenherrschaft so zurückgegangen, dass Vater Lortzing es gänzlich aufgab und ein Engagement als Schauspieler am Breslauer Theater annahm. Außer der Neigung zur Kunst mag dabei von Einfluß gewesen sein, dass der Bruder Friedrich Lortzing, ursprünglich Maler, seit 1805 als Schauspieler unter Goethes Leitung in Weimar in gesicherter Stellung tätig war. In Breslau wirkte damals Ludwig Devrient in voller Jugendkraft, daneben der spätere Lustspieldichter Karl Töpfer, der bei Lortzing wohnte und nebenbei Unterricht auf der Gitarre gab. Vater Lortzing spielte Intrigants, komische Alte und zärtliche Väter, die Mutter anfangs Soubretten, Französinnen und muntere Rollen in Schau- und Lustspiel, ging aber bald ins Fach der komischen Alten und Mütter über. Wie damals üblich, sang auch jeder Schauspieler in der Oper mit. Als Musikdirektor wirkte in Breslau der damals geschätzte Komponist G. Bieren, seit 1808 Nachfolger C.M. von Webers.

Auch in den Wanderjahren unterließen die Eltern nicht, des Sohnes weitere Ausbildung zu vervollkommnen, und dieser selbst war mit Fleiß und Eifer daran bemüht; er studierte die Werke Albrechtsbergers und anderer Theoretiker und erweiterte seine Kenntnisse im Verkehr mit praktischen Musikern. Da er Violine und mit besondere Vorliebe Cello spielte, wirkte er gelegentlich auch im Orchester mit; auf der Bühne spielte er Kinderrollen, die in Stücken damaliger Zeit häufig vorkamen, und zu Hause schrieb er Noten, um mit solch kleinen Annahmen die Eltern zu unterstützen, bei denen oft Schmalhans Kirchenmeister war. Von Breslau ging die Familie nach Coburg und im Herbst 1813 nach Bamberg zu Direktor Karl August v. Lichtenstein (1767 bis 1845), einem aristokratischen Kunstliebhaber, der selbst Opern dichtete, komponierte und die ersten Partien sang. Von ihm rührt ein Vorläufer des “Zar” her, eine drei-aktige Oper “Frauenwert oder Der Kaiser als Zimmermann”. Hier in Bamberg war auch die erste “Undinen”-Oper entstanden, die E.T.A. Hoffmann 1812 während seiner “Lehr- und Wanderjahre” geschrieben hatte. Mit Liechtenstein, der sich in Bamberg nicht halten konnte, gingen Lortzings nach Straßburg, wo er sich völlig ruinierte. Die Familie schloß sich dann der Direktion Koch und Schäffer in Freiburg und Bade-Baden an, und hier trat Albert zuerst mit einer Komposition vor die Offentlichkeit. Zu dem Kotzebueschen Schauspiel “Der Schutzgeist”, in dem er die Titelrolle spielte, hatte er einen Chor und Tanz geschrieben, und durch weitere Gelegenheitsarbeiten im Laufe der nächsten Jahre (Ouvertüren, Entreakte, Gesangseinlagen, usw.) lernte er früh die Behandlung des Orchesters und der Stimmen.

Als der natürliche Beruf, galt ihm wie seinen Eltern gewissermaßen selbstverständlich der des Schauspielers, und sobald er männlich genug aussah, wurde er jugendlicher Liebhaber bei der Gesellschaft der Direktors Josef Derossi (1768-1841), eines der Mitkämpfer Andreas Hofers, der das Sogenannte A-B-C-Theater – Aachen, Bonn, Cöln, Düsseldorf, Elberfeld – leitete, dem auch Lortzings Eltern als Mitglieder angehörten.

Aus dieser Zeit sind die ältesten datierten Kompositionen erhalten: ein Konzertstück mit Variationen für das Klappenhorn mit Orchesterbegleitung, datiert aus Cöln vom 9. Oktober 1820; das Thema, ziemlich deutlich an “Was blasen die Trompeten” erinnernd, ist viermal streng variiert im Mozartschen Stile, dessen Vorbild auch die konzertante Einleitung, die Zwischenspiele und die Instrumentierung erkennen lassen. Ferner eine Hymne für Soli, Chor un d Orchester auf Text von Matthisson, dem Dichter der “Adelaide”, Juni 1822 in Elberfeld vollendet. “Dich preist, Allmächtiger, der Sterne Jubelklang” beginnt der Chor, der gelegentlich Anläufe zu kanonischen Behandlung nimmt, im Allgemeinen aber homophon gesetzt ist. Eine kleine melodische Tenor-Arie “Dein Tempel, die Natur” folgt, worauf der Chor unisone a cappella anhebt “Was bin ich, Herr, vor dir” und in düsterm F-moll leise vor zich hinflüstert “Es trennt vom Totenkreuz mich nun ein Spannenraum” wozu das Orchester mit seiner Begleitung in abgerissenen Achteln und den dreimal wiederkehrenden Grabesrufen der Posaunen, Fagotte und Trompeten charakteristische Farben leiht. Ein Soloterzett in As-dur “Wohl dennoch mir” leitet dann zum Eingangschor in C-dur zurück. – Das Anspruchslose Werkchen, ein Nachklang Haydnschen kindlich-frommen Geistes, läßt wesentliche künstlerische Fortschritte erkennen und hat bei Aufführungen in neuerer Zeit noch sich als wirksam erwiesen. Datiert vom 13. Juli 1822 ist ferner ein humoristisches Lied “Es ist gar ein wunderlich seltsames Ding, das leidige Schifflein der Ehe” für eine Singstimme mit Orchester, offenbar eine Einlage in irgend ein Theaterstück.

In diese frühe Zeit zu verlegen ist offenbar auch ein Lied des Serini aus Auffenbergs Drama “Viola” mit ihrem an Schuberts Rosamunde-Romanze gemahnenden Anfange, sowie eine Jubel-Ouverture über den Dessauer Marsch, die stark Weberschen Einfluß erkennen läßt. Auch sie ist neuerdings mit Erfolg wieder zum Leben erweckt worden.

Bedeutungsvoll für sein Leben wurde Lortzings Beitritt zur Loge in Aachen, dem eine ganze Reihe Logengesänge das Dasein verdanken. Eine Sammlung der in Osnabrück aufgefundenen ist vor einigen Jahre im Druck erschienen.

In die Zeit des Engagements bei Derossi fällt der erste und einzige Liebesroman Lortzings, der auch rasch zur Heirat führte. Rosina Regina Ahles (geb. 5. Dezember 1800) zu Bietigheim bei Stuttgart), war eine geschätzte und überaus geachtete Schauspielerin im Fache der Liebhaberinnen und wurde die Braut ihres schmucken Kollegen. Als dann 1822 Friedrich Sebald Ringelhardt die Direktion der vereinigten Theater übernahm, engagierte er nicht nur die Familie Lortzing, sondern auch Demoiselle Ahles, die am 30. Januar 1823 in Cöln Mad. Lortzing jun. wurde.

Hier entstand nun in dem Heim des glücklichen jungen Paares die erste von Lortzing gedichtete und komponierte Oper, der Einakter: “Ali Pascha von Janina oder Die Franzosen in Albanien”, als “türkische Oper nach einer wahren Anekdote” bezeichnet. Der kühne und grausame Albanesen-Häuptling, der, seit 1803 Oberstatthalter des Landes der Pforte gegenüber sich zum fast völlig unabhängigen Herrscher gemacht hatte und, schließlich von ihr entsetzt, im Kampfe mit den Vollstreckern des gegen ihn ausgesprochenen Todesurteils 1822 erschlagen wurde, ist der geschichtliche Held. Schon hier tritt die später immer wieder wahrzunehmende Erscheinung auf, dass Lortzing in seinem Schaffen an die Zeitereignisse direkt anknüpft oder sie wenigstens in seine Texte verflicht. Der Griechische Befreiungskampf hatte damals alle Gemüter erregt und zahlreiche Dichtungen herangerufen. Lortzing griff den dankbaren Stoff auf und wollte wohl in der geraubten Korfiotin Arianna, die durch die Franzosen gerettet wird, das seiner Freiheit beraubte Volk der Griechen personifiziert gesehen haben. Das überaus naive Textbuch ist höchst ernsthaft gehalten, ebenso die warm empfundene, sehr anmutige Musik, die wie der Stoff es mit sich brachte, von Mozarts “Entführung”, Webers “Oberon” und Beethovens “Fidelio” beeinflußt ist. Einen heitern Zug bringt nur die von Lortzing selbst dargestellte Figur des Leutnant Robert und dessen nachträglich eingelegte im feinen Buffostil gehaltene Ariette “Wollt’ ich mich grämen um solche Launen” in das Ganze. Ali läßt die Bühne unter seinem Tyrannenschritt erzittern und ist in einer großen mit Koloraturen reich geschmückten Bravour-Arie als blutdürstiger Wüterich und fanatischer Muselmann charakterisiert. Pizarro ist hier das Vorbild gewesen. Einen zarten Kontrast bildet dazu Berniers Arie, in der er seinen Schmerz um die verlorene Geliebte ausdrückt, und Ariannas Romanze (mit Violinsolo) und Gebet. Voll frischen Lebens sind die Ensemblenummern, namentlich die beiden Quartette mit ihrer dramatischen Steigerung; auch die Chöre sind sorgsam behandelt, und das Orchester findet schon in der breit angelegten Ouvertüre eine dankbare Nummer. Hier und in den Türkenchören hat Lortzing der Musik auch nationales Kolorit verliehen. Im Ganzen eine Talentprobe mit allen Vorzügen und Fehlern der Jugend.

Trotz des imposanten Titels, auf den sich Lortzing etwas zugute tat, kam aber “Ali Pascha” an der Stätte seines Wirkens nicht zur Aufführung, und das mag ihn nicht wenig gekränkt haben. Auch noch andere Ärgerlichkeiten verleideten ihm das Engagement bei Ringelhardt. Es gab schon damals eine “verrohte Kritik”, die nicht nur den Autoren, sondern auch den Mimen das Leben schwer machte. So müßte er eines Tages im Cölnischen Unterhaltungsblatt einen Bericht lesen, in dem es hieß: “Herr Lortzing, zweiter Liebhaber un Tenorist, ein junger Zierbengel mit einer Kastratenstimme, die keiner Modulation fähig ist, mit einem Milchgesichte – und der Liebling der Damen”.

Die “Rheinische Flora” nahm den Angegriffenen mit ehrenden Worten in Schutz. Lortzing griff auch selbst zur Feder – offenbar mit aufgekrempten Hemdärmeln – und wies den “unberufenen kritischen Wegelagerer” mit scharfen Worten zurecht, aber er suchte sich doch einen anderen Wirkungskreis und ging mit seiner Frau im Herbst 1826 an das im Vorjahre neu errichtete Hoftheater in Detmold, den übrigen Teil des Winters mußte sie in Osnabrück und Münster, den Sommer über in Pyrmont Vorstellungen geben.

Lortzing, der jetzt hauptsächlich Baritonpartien sang, trat in der Oper als Figaro im “Barbier” und als “Don Juan” auf. Im Schauspiel spielte er jugendliche Helden, machte aber namentlich als Bonvivant Glück in Stücken, die man heute nicht einmal dem Namen nach mehr lernen würde, wenn sie nicht dadurch von der Vergessenheit bewahrt worden wären, dass Lortzing sie später als Operntexte bearbeitete. So den “Bürgermeister von Sardam”, worin Lortzing den Chateauneuf spielte; “Heinrichs Jugendjahre”“, aus denen er “Zum Großadmiral” machte; “Hans Sachs”, “Liebhaber und Nebenbuhler in einer Person”, das Urbild “Der Waffenschmied”, worin Lortzing den Grafen Liebenau mimte, und “Die beiden Grenadiere”, aus denen er “Die beiden Schützen” machte. In Münster erlebte nun am 1. Febr. 1828 “Ali Pascha” seine Uraufführung, der dann Wiederholungen in Osnabrück und Detmold folgten.

“Die Hochfeuer oder die Veteranen”ist ein “lyrisches Spiel” in einem Akt von Dr. Sachs betitelt, zu dem Lortzing eine Musik schrieb und das am 24. März in Münster in Szene ging. Stück und Musik sind verschollen.

Am 15 November 1828 veranstaltete Lortzing dort ein großes Vokal- und Instrumentalkonzert, dessen zweite Teil ein eigenes Werk ausfüllte: “Die Himmelfahrt Jesu Christi”. Großes Oratorium in zwei Teilen, in Musik gesetzt von Albert Lortzing, ausgeführt vom gesamten Opernpersonal der hiesigen Bühne.” Den Text hatte ein Osnabrücker Lehrer, Karl Rosenthal, verfaßt und damit eine sehr wirksame Unterlage für die Musik geschaffen. Fünf Solisten vertreten die fünf Stimmgattungen: Gabriel (Sopran), Eloa (Alt), Christus (Tenor), Johannes (Bariton), Petrus (Bass). Der Chor der Engel eröffnet das Werk und setzt ohne Einleitung ein: “Heilig, heilig ist unser Gott”; nach 17 Takten langsamen Tempos folgt ein Allegro, das die Lobpreisung fortsetzt. Im allgemeinen monodisch gehalten, zeigen sich doch gelegentlich Abwechslungen in den Stimmen und kanonische Behandlung. Ein kurzes Rezitativ des Johannes “Gekommen sind wir an des Ölbergs Fuß” leitet über zu der glänzenden Arie des Gabriel “Blaset laut zu Zion mit Posaunen”. Elias stimmungsvolles Rezitativ “Im Anfang war das Wort” und das folgende Quartett “Geduldet hat des Höchsten Sohn” – das Themas erscheint notengetreu auch im Credo von Otto Nicolais Messe – erinnert an Christi Erdenleben und Leiden.

Das Rezitativ des Johannes “Es faßt mein Geist die Wunder alle nicht” schildert dramatisch bewegt und mit entsprechenden Tonmalereien die Schrecknisse beim Tode Jesu und klingt in ein süß-inniges Duett zwischen Gabriel und Johannes aus, das den Verlust des treuen Freundes beklagt. Kräftig charakterisiert ist Petrus im folgenden Rezitativ, das Christi Auferstehung unter dem Aufruhr der Elemente beschreibt und zu zu einer effektvollen, etwas stark auf Bravour berechneten Arie “Im Grabe sahn ihn nicht die Weiber” führt. Der Chor der Engel singt nun “Lob und Preis dem Lamme, das geblutet hat” und jauchzt dem Erstandenen mit Psalmen den Jubel des Dankes zu. Den Abschluss der Nummer bildet eine breit angelegte und nach allen Regeln durchgeführte, zu großer Steigerung gebrachte Fuge “O Heil dem Mittler, der versöhnet”.

Im zweiten Teil tritt nun Christus selbst auf. Ein kurzes Vorspiel der Holzbläser und Hörner leitet orgelmäßig sein ausdrucksvolles Rezitativ ein, das in die Mahnung an die Jünger ausklingt “Liebet einander”. Eine lyrische Arie “O, großes Heil ist euch beschieden” weist einfach-edle Tonsprache auf, die sich bemüht, der Würde des Gegenstandes zu entsprechen. Die Jünger verstehen nicht, was er fragt, und in rührenden Tönen flehen sie “Lass uns nicht verlassen gehn”! Christus bittet im folgenden Rezitativ Gott, den Vater, um die Verklärung da sein Werk vollendet sei, und in der freudig-bewegten Arie “Geoffenbaret hab’ ich deinen Namen” verkündet er, dass die Zahl der Gläubigen und Frommen immer wachse zur Ehre des Herrn. Ein gut gearbeitetes Terzett (Gabriel, Eloa, Christus) preist den Glauben als höchstes Gut, dann setzt der Chor der Jünger ein (“Leises Wallen wehet nieder”), die den Herrn der Wahrheit von Himmelsglanz umgeben erblicken. Das Visionäre der ganzen Szene ist von Lortzing auch orchestral sehr glücklich gezeichnet. Dreifach geteilte Celli, unterstützt von Fagotten und Bässen übernehmen die gehaltene Akkorde des Chors, während gedämpfte Violinen in auf- und absteigende Triolenfiguren die Melodie umspielen. Der Chor und das Soloterzett vereinigen sich in zu einem weihevollen Ensemble, und unter dem Gebet, dass der Glaube die Jünger auf der Prüfung steiler Bahn leiten möge, entschwebt Christus zum Himmel, Petrus beklagt im folgenden Rezitativ die Abwesenheit des gleich ihm gefallenen Judas. Der Chor der Engel schließt sich an: “Selig, die Gott berufen”, singt er freudig, und im charakteristisch gezeichnetem Gegensatz “Doch wehe, wer den Herrn verraten”. Das Soloquartett wiederholt die Seligpreisung, der Chor tritt dazu, und mit der Verheißung von des Himmels Herrlichkeit schließt das Finale triumphierend ab.

Bei allem ernsten und hohen Streben, das in Lortzings Oratorium zu erkennen ist, darf es natürlich nicht mit den erhabenen Werken eines Bach und Händel verglichen werden; es ist vielmehr auf den Ton Haydn-Schubertscher gläubig-froher Religiosität gestimmt und auch musikalisch nach dem Vorbild dieser Meister geartet. Aus innerstem Herzer aber kamen auch bei ihm die frommen Klänge, mit denen er Christi Verklärung malte, und sie haben auch bei Aufführungen in neuerer Zeit, nachdem Wilhelm Rudnick die Partitur überarbeitet, in einer Anzahl von Städten aufrichtige Ergriffenheit hervorgerufen.

Am 19. Januar 1829 war in Braunschweig Goethes “Faust” auf die Bühne gekommen. Auch das kleine Detmold hallte von dem Ereignis wieder, lebte doch dort ebenfalls ein faust-Dichter und einer, der sich kaum geringer dünkte als der Altmeister in Weimar. Er hatte einmal trotzig gesagt: “Was ist das ein Gewäsch über den faust! Alles erbärmlich! Gebt mir jedes Jahr dreitausend Taler, und ich will euch in drei Jahren einen Faust schreiben, dass ihr die Pestilenz kriegt.” So hatte der Regimentsauditeur Grabbe gesprochen und auch wirklich in unglaublich kurzer Zeit seinen “Don Juan und Faust” gedichtet, den er freilich nur eine dumme Vorarbeit nannte, der aber am Hoftheater zur Aufführung angenommen wurde.

Obwohl Grabbe einmal zu Lortzings gerechter Empörung in einer anonymen Kritik die Hoftheater-Gesellschaft und ihn ebenfalls angegriffen hatte, waren beide doch später in freundschaftliche Beziehungen getreten und des öftern beim Weine zusammengekommen. Lortzing spielte auch auf des Dichters Wunsch den Don Juan und schrieb die begleitende Musik, die heute immer noch nur handschriftlich vorliegt. Freilich sind alleiniges Eigentum des Komponisten nur die prächtige Gnomenszene im vierten Aufgang, wo Faust “Zerstreuung in der Erde Tiefen sucht”, und ein liebessehnsüchtiger Entreakt (Nr.1), der in Don Juans sogenannte Champagner-Arie von Mozart ausklingt, und die Schlußmusik. Die Ouvertüre setzt sich nach der der Gnomenszene entlehnten Einleitung aus Themen der Mozartschen und Spohrschen Opern zusammen, die Bühnenmusik (Nr.3) ist der Anfang des letzten Finales aus dem Don Giovanni. Die gelegentliche Benutzung fremder Kompositionen war in früheren Zeiten nichts ungewöhnliches, und wir sehen die Erscheinung bei andern wie bei Lortzing noch geraume Zeit wiederkehren.
“Don Juan und Faust” war am 29. März 1829 zuerst gegeben, eine Wiederholung aber verboten worden, und so blieb diese Aufführung die einzige Vorstellung eines seiner Stücke, die Grabbe erlebte. 1836 starb er in Detmold.

Es sei gleich hier erwähnt, dass Lortzing später, vermutlich in Leipzig, auch Musik zum Goethescher Faust komponiert hat, allerdings nur Bruchstücke aus dem zweiten Teil, u.[nd] z.[war] das Türmerlied des Lynceus, den Chor der Himmlischen Heerschar, ein melodram, den gesang des Doktor Marianus und den anschließenden Chorus mysticus; anmutige frische Tongebilde, auf leichte Ausführbarkeit berechnet, nicht an Schumann oder Berlioz zu messen, aber der Stimmung der Szenen entsprechend und von freundlicher Wirkung.

Das Jahr 1830 brachte eine neubearbeitung der aus dem jahre 1772 stammenden Oper “Die Jagd” von Weiße – Hiller, die als Ausgangspunkt des deutschen Singspiels anzusehen ist, aus dem die komische Oper Dittersdorfs erwuchs, an das auch Mozart mit der “Entführung” anknüpft. Lortzings Arbeit ist wohl die kühnste Modernisierung eines älteren Werkes, die wir besitzen, denn er hat nicht nur die Instrumentation durchweg selbständig erneuert und durch Hinzufügung von Klarinetten und Trompeten verstärkt; er weist die Melodieführung oft andere Linien an, harmonisiert neu und bereichert nach jeder Richtung hin die Partitur nach Mozartschen Vorbilde. Einige Gesänge, darunter eine Arie des Königs, zwei charakteristische Entreakte und die Ouvertüre, die wie Webers Jubel-Ouvertüre in die Nationalhymne ausklingt, sind von Lortzing ganz neu komponiert. Die Bearbeitung des Buches besteht in Kürzungen und Verbesserungen des Dialogs, Verlegung einiger Szenen usw., und beweist den kritischen Blick Lortzings. Die Erstaufführung fand am 20. November in Osnabrück statt.

Die Pariser Juli-Revolution warf ihre Schatten auch nach Detmold. Das Land mußte 800 Mann Soldaten stellen, die nach Luxemburg marschieren sollten. Mit Rücksicht auf die unsicheren Verhältnisse wurden die Theaterkontrakte in nur halbjährige umgewandelt, und das Gefühl der Unruhe, auch der Sorge um die Eltern, die im Rheinlande noch mehr gefährdet waten, als er selbst, mag Lortzing, der sich immer viel um Politik kümmerte, verhindert haben, neues zu schaffen.

Erst am 30. Juni 1832 in Pyrmont las man wieder Lortzing als Komponisten auf dem Theaterzettel. “Yelva”, das Melodrama von Scribe, zu dem Karl Gottl. Reißiger (1798-1859), der Dresdener Kapellmeister, schon 1827 eine vielverbreitete Musik geschrieben hatte, wurde von Lortzing neu komponiert oder, besser gesagt, es wurde eine neue von ihm zusammengestellt, denn es sind durchweg fast nur fremde Melodien, die, geschickt verbunden, das Spiel der stummen Waise begleiten und die Situation zeichnen. Lortzings Eigentum ist nur die Ouvertüre, in deren langsamen Einleitungssatz aber auch das himmlische Lied “An Mexis send’ ich dich” verwebt ist.

Wurde alles, was Lortzing bisher geschaffen, nur im Kreise seines damaligen Wirkens bekannt, so trug das nächste Werk zum erstenmal seinen Namen in alle Welt hinaus. “Der Pole und sein Kind”, ein einaktiges Liederspiel, ging am 11. Oktober 1832 in Osnabrück zuerst in Szene und fand, dank dem Zeitinteresse, rasch Verbreitung. Nachdem am 7. September 1831 Warschau sich hatte den Russen übergeben müssen, gab es kein Polen mehr, und zu Tausenden zogen Flüchtige und Verbannte aus ihrer Heimat fort. Das Schicksal der heldenmütig erliegenden Nation hatte alle Welt in Begeisterung und Trauer versetzt; Dichter aller Nationen besangen die Kämpfer, die redenden und die bildenden Künste feierten ihre Taten. Schon 1826 war Holtei (1793-1880) mit einem Liederspiel “Der alte Feldheere” (Kociusko) hervorgetreten, das 1830 neu auflebte und über alle Bühnen ging. Man weiß, wie das traurige Ende der polnischen Nation auch Richard Wagner ergriff und ihn zu Anfang des Jahres 1832 seine Ouvertüre Polonia komponieren ließ. Heinrich Laube hat für ihn einen Operntext “Kociusko” zu schreiben begonnen, und auch Robert Blum dichtete ein Drama gleichen Namens.

Lortzing knüpfte unmittelbar an die Zeitereignisse an und schilderte in seinem L iederspiel, wie Janicky, einer der letzten Zehn vom vierten Regiment, mit seinem Knaben von Hof zu Hof in Deutschland wandert, um die nach dem Fall von Prag verschwundene Gattin zu suchen, die zwar totgesagt, die er aber doch bei Verwandten noch wiederzufinden hofft und auch wirklich findet. Das Schicksal der flüchtigen Vaterlandsverteidiger, die in bitterer Not eine neue Heimat suchen müssen, ist ungemein rührend geschildert, und es ist glaubhaft, was Lortzing seine Eltern schreibt: er habe noch nie so viel Tränen fließen sehen, als bei dem kleinen Stückchen. Der ernsten Haupthandlung sind aber reichlich heitere Episoden eingefügt durch den weinfrohen magister Hilarius, das in den Förster Kugelauf verliebte ältere Mädchen Dem. Winkelmann, und den komischen Vetter Jakob, so dass man auch herzlich lachen kann. Lortzing geht hier die Wege, die Angely und Holtei in ihren Vaudevilles vorgezeichnet haben, einer Kunstform, die freilich sehr anfechtbar ist, auf der Bühne aber jahrzehntelang behauptet hat und auch heute noch Freunde findet. Die Musik setzt sich bunt aus Nummern damals beliebte Opern (“Weiße Dame”, “Fra Diavolo”, “Fanchon”, “Schweizerfamilie’, und volkstümliche Liedern (“Im kühlen Keller sitzt’ ich hier” u.a.) Zusammen, nur die Ouvertüre und das Lied vom 4. Regiment, das Janicky zur Gitarre singt, ist eigene Komposition. Die Dichtung zu letzterem ist allerdings von Julius Mosen, im übrigen ist das Buch ganz von Lortzing, und er bleibt von jetzt an auch sein eigener Librettist. Der Weg auf die Bühnen wurde dem “Polen” anfangs etwas erschwert durch Zensurverbote in Münster und Berlin, doch war die Verbreitung nicht aufzuhalten, und wo der Titel beanstandet wurde, half man sich, indem man ihn in “Der Feldwebel vom 4. Regiment” umwandelte. Auch als das Zeitinteresse längst vorüber war, hielt sich das Stückchen mit seinen dankbaren Rollen noch auf dem Spielplan, und bis in die neueste Zeit konnte es mit Erfolg gegeben werden.

Gleich nach dem “Polen” schrieb Lortzing wieder einen Einakter, der ebenfalls ein im Freiheitskampfe unterlegenes Volk feiert: “Andreas Hofer”. Im Stück freilich geht alles gut aus, wenn auch das Trauerspiel in Mantua schon angedeutet wird. Hofer soll ein Opfer tückischen Verrates werden: Johannes Donay aber, der zum Verräter wurde, weil ihm Hofers Tochter und die gehoffte Adjutantenstelle versagt wurde, wird entlarvt, und Hofer empfängt die Anerkennung des Kasers in Form einer – Medaille. Neben ihm erscheinen die Hauptpersonen des Tiroler Aufstandes, der wilde Speckbacher, Peter Meyer und Kemnater; Konrad Eisenstecken wird sogar in aller Kampfesunruhe mit Hofers Tochter verlobt, und eine heitere Note bringt Peter Haspinger, der weltfrohe Kapuziner, in das Ganze, das auch durch zwei muntere Chöre belebt ist. Die Musik setzt sich – wieder die Ouvertüre und wohl auch Hofers Lied ausgenommen – aus mehren teils edlen Tonstücken” anderer Komponisten zusammen: Theodor Körners gebet vor der Schlacht, von Weber vertont; Spohrs “Selig sind die Toten” aus dem Oratorium “Die letzten Dinge”; der Rachechor aus Aubers “Stumme von Portici; der Schlußchor des ersten Teiles aus der “Schöpfung” von Haydn “Die Himmel erzählen” und seine Nationalhymne “Gott erhalte Franz den Kaiser” sind verwendet, außerdem tritt ein großes Freiheitsduett zwischen Hofer und Speckbacher und ein vierstimmiger Kanon “Wer Gott und seinen Fürsten ehrt” hervor. Ein Zensurverbot in Wien machte die Aufführung für ganz Österreich unmöglich, und es scheint bei Lebzeiten Lortzings überhaupt keine solche stattgefunden zu haben.
Erst am 14. April 1887 ging das Werkchen in einer Neubearbeitung von Ernst v. Reznizek am Stadttheater in Mainz in Szene. Es blieb ungedruckt und fand somit auch keine Verbreitung.

Noch vor Schluß des Jahres 1832 erschien lortzing wieder mit einem neuen Werke auf dem Plan, einer “launigen Szene aus dem Familienleben”, die am 21. Dezember in Münster zuerst auf der Bühne erschien, betitelt: “Der Weihnachtsabend”. Nach dem früheren Muster ist auch dieses, diesmal durchweg heitere Stückchen, gestaltet, in dem eine Weihnachtsbescherung im kreise der Kinder (drei Lortzingsche wirkten mit) und die Überrumpelung des Vaters Käferling, der dem in einem Korbe ins Haus geschmuggelten Neffen die Tochter geben muß, den Höhepunkt darstellt. Erinnern die Namen des Liebespaares Finke und Schwalbe an Körners “Nachtwächter”, so weist die Einführung des Liebhabers auf das Becksche Lustspiel “Die Schachmaschine” hin, in deren hauptrolle Lortzing oft auf Gastspiele ging. Die Partitur steht diesmal im Zeichen Mozarts, von dem vier Nummern aus “Don Juan” und “Zauberflöte” benutzt sind; auch die anderen sechs Nummern sind fremdes Eigentum. Nur wieder die hübsche Miniatur-Ouvertüre, in die das Weihnachtslied und das Studentenlied “Mein Lebenslauf ist Lieb’ und Lust” verwebt ist und das Eingangsduett, gehört Lortzing an. Das Textbuch ist neuerdings bei Breitkopf & Härtel im Druck erschienen.

Aus derselben Zeit stammt noch ein viertes Singspiel “Szenen aus Mozarts leben”, das Salieris neidvolle Eifersucht auf Mozarts Größe zum Gegenstand hat. Außer den beiden Meistern treten Mozarts Frau Constanze und seine Schwägerin Aloysia, deren späterer Mann, der Schauspieler Lange, der Tenorist Adamberger (Vater von Körners Toni) und der Theoretiker Albrechtsberger auf. Die Ouvertüre und alle neun Nummern sind durchweg Mozartschen Werken entnommen. Die Ouvertüre stammt aus dem Streichquartett in C-dur, Sätze aus den Klaviersonaten sind zu Solostücken und Ensembles verwandelt, das Requiem wird benutzt und Stücke aus “Cosi fan tutte” und “Titus”, auch das “Bandel-Terzett” und das fälschlich Mozart zugeschriebene “Wiegenlied”, die Tenorarie “Müßt’ ich auch durch tausend Drachen” und das Terzett “Mi lagnerò tacendo” ist verwendet. – Von einer Aufführung des Stückchens ist nichts bekannt geworden, eine Veröffentlichung hat nicht stattgefunden.

Kapittel 3