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Wer weiß wie lange Lortzing noch auf diesen künstlerisch unfruchtbaren Gebiete weiter gearbeitet hätte, wäre nicht in seinen äußeren Verhältnissen eine Änderung eingetreten, die auch für sein Schaffen von entscheidendster Bedeutung wurde. Direktor Ringelhardt hatte die Leitung des Kölner Theaters aufgegeben und die des Leipziger Stadttheaters, das einige Jahre unter Küstners Direktion als königl. sächsisches Hoftheater geführt worden war, übernommen und am 15. August 1832 mit “Egmont” sein Unternehmen begonnen. Mit ihm waren Lortzings Eltern nach Leipzig gekommen, und die Familie strebte nun eine Wiedervereinigung an, die auch schließlich zustande kam, indem Ringelhardt das junge Paar mit einer Jahresgage von 1400 Talern aufs neue engagierte. Nicht leichten Herzens schied Lortzing von den ihm lieb gewordenen Stätten seines Wirkens, wo er sieben Jahre hindurch als Liebling des Publikums gefeiert und vollkommen heimisch geworden war. Man darf sagen. dass sein Weggang wahrhaft betrauert wurde, und bis heute ist das Andenken an Lortzing in den vier verbundenen Städten lebendig geblieben. Aber nicht nur, dass das Reisen fortfiel und ein ruhigeres Leben im Verein mit den Eltern ihm erwünscht war, “der Umgang und das Wirken in einer Stadt der Wissenschaften” und vor allem in der Stadt der Musik, deren erste damals Leipzig noch war, zog ihn magnetisch an. Der Boden, dem das deutsche Singspiel unter Hiller entsprossen war, sollte nun auch die volkstümliche deutsche Spieloper zur Blüte bringen.
Am 3. November 1833 trat Lortzing in dem noch jetzt seinem Berufe dienenden, als “Altes Theater” bezeichneten Hause – damals galt es als ein neues und sehr schönes – sein Leipziger Engagement mit der Darstellung des Carl v. Ruf in der “Schachmaschine” an: seine Partnerin als Sophie v. Hastfeld war Rosalie Wagner, die von Richard Wagner ganz besonders geliebte Schwester, die 1837 noch jung als Frau des Dr. Oswald Marbach starb. Lortzings Frau spielte, nachdem sie zum zweiten Male einem Zwillingspaar das Leben gegeben, zuerst am 18. November die Rolle der Camilla in Houwalds “Das Bild”. Beide wurden freundlichaufgenommen, wenn auch die Kritik später öfter an Lortzing zu tadeln fand, namentlich im Drama und in der ernsten Oper. Immer mehr glitt Lortzing als Darsteller in das humoristische Fach, das seinem ganzen Wesen am besten entsprach. Dennoch hatte er mit einer ernsten Rolle großen Erfolg, und diese war sein “Pole”, den er am 13. Januar 1834 zuerst spielte. Man ehrte ihm – was damals noch eine Seltenheit war – durch Hervorruf, und der polenfreundliche Stimmung des Publikums entsprechend dankte er im Namen aller seiner Brüder”.
Der geschäftliche Betrieb am Theater war zu damaliger Zeit noch ein ruhigerer als heute. Nur während der Messen wurde täglich gespielt, sonst nur viermal in der Woche, und wenn Lortzing auch in Schauspiel und Oper viel beschäftigt war, vier Jahre hindurch war er auch als Nachfolger Franz Haufers, des als Bachforscher berühmten Baritonisten, Opernspielleiter – so blieben doch immer eine Reihe Abende, die dem Familienleben und der Geselligkeit gewidmet werden konnten. “Jeden Abend, wenn kein Theater ist, kommen Großvater nd Großmutter zu uns und erfreuen sich der Kinder, die Großmutter wartet dann eins von den Kleinen”, schreibt Frau Röschen. Schon Ende 1833 trat Lortzing der noch bestehenden Tunnel-Gesellschaft bei, die das geistige Leipzig vereinigte, und für die er mancherlei schrieb. Ein “Tunnellied” (“Die Mädchen und Frauen, wie Rosen so schön”), für Tenorsolo, Männerchor und Orchester befindet sich noch im Archiv. Ein Scherzspiel “Das Treugeschenk” (ursprünglich “Die Übergabe des Zopfes Karls des Großen an die Friseur-Innung zu Schilda” betitelt), eine Handlung in zwei Auftritten (1843) ist verschollen. Auf einem der Maskenfeste erschien Lortzing als spanische Tänzerin. Eine Sammlung “Ernste und heitere Festgesänge”, die im Druck erschienen, darunter die köstliche humoristische Männerchor “Die Kippe”, ein Arrangement des Elisabethen-Walzers von Johann Strauß Vater für Vokal-Sextett, verdanken wohl diesem Zusammenhang ihre Entstehung.
Ende 1834 wurde Lortzing in die Loge “Balduin zur Linde” aufgenommen, und auch hier zeitigte seine Zugehörigkeit zum mindestens eine Schöpfung, eine Jubelkantate zur Säkularfeier der Loge “Minerva zu den drei Palmen” für Orchester, Männerchor und Soli, gedichtet von Mothes; ein Werk, das auf Veranlassung Dr. Erich Priegers in Bonn unter der Leitung von Engelbert Humperdinck in neuerer Zeit wieder aufgeführt wurde. – Der Männerchor (Geisterstimme der Stifter) beginnt nach zehn Takte Vorspiel (Larghetto, E-dur, 3/4) “Hört! Des Hammers Ruf ertönet”, Soli der Stiftungsmeister (Bass), des Lehrlings, gesellen und Meister der Gegenwart wechseln mit Soloquartetten und Chören ab, bis die Geisterstimmen den ersten Teil abschließen.
Der zweite Teil hat doppeltes Interesse, da es auch noch für eine andere Feier verwendet wurde.
Im Jahre 1840 gründete Robert Blum den noch bestehenden Schillerverein in Leipzig, dem auch Lortzing beitrat. Er dirigierte gleich beim ersten Feste am 9. November Webers “Jubel-Ouvertüre” und leitete fünf Jahre hindurch die musikalischen Aufführungen, sang auch gelegentlich zweiten Tenor in Quartetten und schrieb eine Anzahl Kompositionen auf Schillersche Texte: “Das Mädchen aus der Fremde (1840, gesungen von Mad. Düringer, Dem. Günther, Maria Heinrich Schmidt und Wilhelm Pögner), eine Hymne (1841, vom Philharmonischen und Universitätsgesangverein mit Posaunenbegleitung gesungen), “An den Frühling” (1844, von den Herren Widemann, Rudolf, Salomon und Stürmer gesungen), einen Melodramatische Schluß zu einer Festrede von Theodor Drobisch, und 1842 eine Kantate, die eben der zweite Teil der Logen-Kantate ist. Der neue Text läßt die jungdeutsche freiheitliche Tendenz unschwer erkennen, und es ist sicher mit Absicht geschehen, dass im Schlußjahre der sogenannte Freiheitschor aus “Don Juan” als musikalisches Motiv benutzt ist.
Die Worte eines Soloquartetts tonten:
Wenn alle freien Geister einst verbunden
Das schöne Band,
das heut uns festlich eint;
wenn jeder sich dem Eigennutz entwunden,wenn alle Menschen einstens nur ein Volk,
ein einig Volk des Maurerbunds sich nennen
und sich durch ihn als Brüder treu erkennen,
dann wölben seine Tempel sich zum Domdas deine Hand gewebt;
wenn sie der Schmach der Knechtschaft sich entwunden,
und kühn erstreben, was du einst erstrebt;
wenn Brüder sich die Deutschen alle nennen,
und keine Schranken deutsche Anen trennen,
dann wölbt dein Ehrentempel sich zum Dom.
Und der Schlußchor heißt in der Schiller-Kantate:Bis alle Geister frei, bis deutschland eines sei,
vereine dieses Fest uns treu in jedem Jahr
um diesen heil’gen Weihaltar.
Und feste Willenskraft und Mut zur edlen Tat
erfüll’ hier unsre Brust.
Die Musik ist durchweg im Mozartschen Stile gehalten, oft voll Schwung und weihevoller Schönheit. Das Orchester beschränkt sich – wohl aus äußeren Gründen- auf 1 Flöte, 2 Klarinetten, 2 Fagotts, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken (außer den Streichern), ist aber durch 3 Posaunen verstärkt, während die Oboen ganz fehlen.
Die Zugehörigkeit zu diesen Kreisen und sein geselliges Temperament brachte Lortzing naturgemäß mit der Leipziger Bevölkerung in vielfache Berührung und steigerte seine Beliebtheit. Es erscheint darum auch ganz natürlich, dass er sich vollständig einlebte und durch zwölf Jahre erfolgreichen Wirkens und Schaffens mit der Stadt verwuchs, wo seine besten werke entstanden und zuerst aufgeführt wurden. Trotzdem muß er den Gedanken, von Leipzig fortzugehen, mehr als einmal erwogen haben, denn wir sehen ihn öfter auf Gastspiel-Ausflügen, die nie dem Zweck eines anderweitigen Engagements verbunden waren.
Schon in September 1834 spielt er dreimal im Weimarer Hoftheater, im Sommer 1835 gastiert er während zweier Wochen in seinen besten rollen am Königstädtischen Theater zu Berlin, 1837 in Coburg, ohne jedoch, dass ein Abschluss stattfände; auch nach Dresden wandte er sich wiederholt um Gastspiele, doch vergebens, erst 1845 kam in Pyrmont ein solches wieder zustande.
Auffällig muß erscheinen, dass nirgends etwas von näherem Verkehr Lortzings mit Leipzigs hervorragendsten Musikern verlautet. Weder Schumann, der seit 1834 die “Neue Zeitschrift für Musik” herausgab, und die Davidsbündler, noch Mendelssohn, der seit 1835 die Gewandhauskonzerte dirigierte, scheint er näher getreten zu sein. Auch von Beziehungen zu Richard Wagner, der bereits mit seinen frühesten Orchesterwerken hervorgetreten war und dessen Schwester Lortzings Kollegin am Theater war, ist nichts bekannt. Begegnet sind sich beide allerdings im Juli 1834 in Lauchstedt, wo Wagner als Musikdirektor bei Direktor Bethmann engagiert was und Lortzing einer Ausführung von “Figaros Hochzeit” beiwohnte. Damals ahnte freilich keiner, dass der künftige Komponist des “Hans Sachs” und der werdende Schöpfer der “Meistersinger” einander gegenüber standen.
Intimer sind offenbar die Beziehungen zu den Literaten Leipzigs gewesen, mit denen er im Tunnel, im Schillerverein und im Weinhause häufiger zusammentraf; besonders nahe scheint ihm Herloßsohn gestanden zu haben, dessen die böhmische Abkunft verratende Anrede “Liebes Bruder” Lortzing sich völlig aneignete, so dass er alle Freundesbriefe so überschrieb.
Diese Freunde, mit denen sich später ein so inhaltreicher Briefwechsel entwickelte und die in Leipzig mit Lortzing vereint “das unzertrennliche Kleeblatt” bildeten, waren Philipp Düringer, der Heldenspieler, der im Mai 1835 sein Kollege wurde, und Philipp Reger, der Charakterdarsteller, der 1837 nach Schluß der Immermannschen Direktion in Düsseldorf nach Leipzig kam.
Es dauerte einige Zeit, ehe Lortzing in den neuen Verhältnissen heimisch geworden war und zum Schaffen Muße fand. Mit Kleinigkeiten, wie er sie bisher für die Bühne geschaffen, wollte er nicht mehr hervortreten; sein Ehrgeiz war angeregt, und er fühlte sich auch reif, um größeres zu wagen. So schuf er wahrscheinlich in dieser ersten Leipziger Zeit den text-Entwurf zu einer mehraktigen heitere Oper “Der Amerikaner” nach dem gleichnamigen Lustspiel von Wilhelm Vogel (1772 – 1843), das aus dem Italienischen des Camillo Federici stammt und ursprünglich “La Cambiale di matrimonio” heißt. Lortzing hatte in dem vielgegebenen Stücke (das auch später nochmals unter dem Titel “Eine Braut auf Lieferung” in der Bearbeitung von Friedrich Tietz über alle Bühnen ging), die Rolle des Karl Bach oft gespielt und war der Wirkung sicher.
Die Handlung ist kurz, das ein Amerikaner bei einem deutschen Kaufmann sich eine Frau bestellt, die ihm gleich einer Ware zugeschickt werden soll. Die Kaufmann beschließt, seine eigene Tochter dem reichen Geschäftsfreunde zu geben, obwohl ihr herz bereits dem jungen Karl Bach gehört. Dieser nimmt, vom Vater nicht gekannt, eine Anstellung im Hause an, gewinnt das Vertrauen des Alten und soll sogar seine Elise nach Amerika begleiten und dem Besteller abliefern. Der Amerikaner kommt aber plötzlich selbst ins Haus, sieht die Lage und vereinigt schließlich die Liebenden, während er selbst Sophie, eine muntere Kusine der ihm bestimmten Braut, heimführt. Der Entwurf ist gleich in Versen ausgeführt, aber nicht vollendet; die Komposition ist scheinbar gar nicht begonnen worden.
Eine nichtmusikalische Arbeit Lortzings ist die Bearbeitung des Lustspiels “Künstlers Erdenwallen” von Julius v. Voß (1768 – 1832), die er wohl für die besonderen Verhältnisse des Theaters in Leipzig hergestellt hat, wo auch die Handlung des Stückes spielt.
1835 entstand nun eine dreiaktige Oper, zu der er sich das Textbuch aus dem nach dem Französischen von G. Cords bearbeiteten Lustspiel “Die beiden Grenadiere” zurecht machte. Das Stück wurde damals viel gegeben, und Lortzing selbst hatte den Wilhelm oft gespielt. Die Handlung, die auf Verwechslung der beiden Grenadiere – deren Tornister vertauscht wurden – beruht, ist harmlos genug, bot aber dem Komponisten dankbare Partien und musikalische Situationen, deren Vertonung er mit sichtlicher Freude unternahm.
Unter dem Titel “Die zwei Tornister” reichte er sein Werk dem Direktor Ringelhardt ein, der aber keineswegs mit der gleichen Freudigkeit die Aufführung betrieb. “Was können so zwei Pelzsäcke für Interesse haben”, meinte er, den Titel beanstandend. Dieser wurde dann, da in Leipzig ein Schützenbataillon in Garnison stand, in “Die beiden Schützen” umgeändert, aber Ringelhardt ließ Lortzing noch Zeit, erst eine zweite Oper zu schreiben, ehe er die erste auf die Szene brachte.
Diese zweite, die im Jahre 1836 entstand, war die schon erwähnte große tragische Oper “Die Schatzkammer des Ynka”, die nie an die Öffentlichkeit gelangte und von der eine einzige Nummer, ein festlicher Marsch, erhalten geblieben ist. Das Textbuch hatte ihm Robert Blum (1807-48) verfaßt, der von Köln, wo er bei Ringelhardt als Theaterdiener angetreten war, mit nach Leipzig übersiedelt und nunmehr Theatersekretär geworden war. Damals glaubte er auf dramatischen gebiete Lorbeeren pflücken zu können und schrieb eine ganze Anzahl Dramen (“Die Befreiung von Candia”, “Vaterfluch”, eine für vier Abende berechnete Tragödie “Kosciuszko” usw.), aber erst seine politische Tätigkeit sollte ihm Ruhm erwerben und den dann freilich vom eigenen Blute getränkte Lorbeer eintragen.
In einem Briefe Blums vom 15. Dezember 1836 heißt es: “Wahrscheinlich werden wir eine komische Oper von unserm Lortzing einstudieren.” Und so geschah es in der Tat. Ringelhardt, der wie alle Bühnenleiter damaliger Zeit ihr Heil einzig in der Vorführung italienischer und französischer Modeopern suchte, der auch Wagners “Feen” und “Liebesverbot”, die ihm zuerst angeboten wurden, unbeachtet ließ, mochte wohl durch die Beliebtheit seines Schauspielers veranlaßt werden, ihn als deutschen Komponisten dem Publikum vorzuführen, und so verkündete wirklich der Theaterzettel vom 20. Februar 1837 die Uraufführung von “Die beiden Schützen”, die denn auch gleich den Vogel abschossen und freudig begrüßt wurden. Lortzing tritt nun als Eigener auf, der seine persönliche musikalische Sprache spricht, wenn auch das Mozartsche Vorbild erkennbar bleibt. Meisterstücke wbersetzt. ie das prächtig aufgebaute zweite Finale und das Sextett im letzten Akt stehen auch dem “Figaro” nicht all zu fern. Hier wie auch in den übrigen Ensemblenummern, dem Terzett, Quartett und Quintett des ersten Aktes, den beiden Duetten zeigt sich außer der quellenden Erfindungsgabe auch die geschickte Hand, die den Stücken ihre formale Abrundung zu geben weiß. Die drei Arien charakterisieren sehr treffend das Soldatisch-Forsche in Wilhelm, das Empfindungsvolle in Gustav und das Schelmisch-Graziöse in Karoline.
Für Schwarzbart und den von Lortzing selbst dargestellten dummen Peter ist das Lied nur in der Form des Couplets verwendet; es ist hier nicht lyrischer Ausklang der Stimmung, sondern wie in der Posse das Echo der Tagesereignisse auf leichtester musikalischer Grundlage. Als 1839 die Oper in Berlin gegeben wurde, hatte sich Louis Schneider für den Peter eine komische Tanzszene (Kontretanz Nr.7) geschrieben, die Lortzing am 17./18 Juni komponierte, und die seither ein bleibender, höchst ergötzlicher Bestandteil des Werkes wurde. In die Partitur nicht aufgenommen wurde eine ebenfalls nachkomponierte Ariette für Suschen “Ich werde bald zu nichts mehr taugen”, die neuerdings im Peterschen Klavierauszug erschienen ist. Die Oper fand, trotzdem sich die Kritik ziemlich geringschätzig darüber äußerte, die weiteste Verbreitung, wurde auch unter dem Titel “les Méprises” ins Französische übersetzt. Sie ist auch heute noch bei entsprechend guter Besetzung und geschmackvoller Inszenierung im Biedermeierstil des Erfolges gewiß.
Wenn “Die beiden Schützen” trotz ihrer noch immer reizvollen Musik seltener gegeben werden, als die späteren Werke, so ist der Grund in dem Spießbürgerlichen Sujet zu suchen, Darum war es ein überaus glücklichen Griff, dass Lortzing für seine nächste Oper “Zar und Zimmermann” das Lustspiel “Der Bürgermeister von Sardam” als Grundlage wählte, das sich in höherer Sphäre auf dem politisch-historischen Hintergrunde bewegt.
Lortzing hat wieder vieles wörtlich übernommen, vieles verändert und einen völlig neuen dritten Akt hinzugefügt, der zwar nicht reich an Handlung ist, aber durch die köstliche Gesangprobenszene und die geschickte Hinausrückung der Aufklärung bis ins Finale das Interesse bis zum letzten Takte gefesselt hält. Bedeutungsvoll tritt von nun an das Lied in den Rahmen seiner Opern, und Lortzing gibt sogleich Proben, wie glücklich und mannigfaltig er diese Form zu behandeln weiß. Da ist das Zimmermannslied Michaelows mit den langgestreckten Verszeilen und den kräftigen Rhythmen, die die anfechtbare musikalische Betonung der Endsilbe kaum auffallend erscheinen lassen; dann die flandrische Romanze des Chateauneuf (dessen Melodie allerdings entlehnt ist) mit ihrer zärtlich-innigen Schwärmerei; das Brautlied Mariens (nach einer russischen Nationalmelodie) voll jungfräulicher Zartheit und liebenswürdiger Schalkheit, und endlich das so viel angefochtene Zarenlied, das nichtsdestoweniger zum Gemeingut des Volkes geworden ist. Die Form der Arie zeigt ebenfalls verschiedenartiger Charakter, der Person angemessen: Mariens neckische Eifersucht-Arie den zierlichsten Miniaturstil; die – freilich meist gestrichene – große Szene des Zaren “Verraten”, in deren Ausklang das wilde Naturell Peters zum Durchbruch kommt, während im Anfang das Elegische überwiegt, verrät den Einfluß der Romantiker; die Auftrittsarie des Bürgermeisters wiederum ist im reinsten Buffostil geschrieben und zeichnet die Aufgeblasenheit des närrischen Stadtoberhaupts mit unübertrefflicher Ironie.
Die beiden Duette zwischen Iwanow-van Bett einer- und Marie anderseits haben die bei Lortzing durchweg festgehaltene Form eines komischen Frage- und Antwortspiels, in dessen zweiten Teile die Personen die Rollen tauschen. Die Glanznummern sind auch hier die große Ensemblestücke: das ausgezeichnet disponierte Männer-Sextett im zweiten Akt mit dem wirksamen a-capella-Sätzen und der ganz selbstständigen Orchestergrundlage zu den diplomatischen Verhandlungen auf der Bühnen; die Gesangprobe im dritten mit dem sprichwörtlich gewordenen “Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen” und den drei Finales, von denen das zweite ganz besonders durch seine Abrundung erfreut. Wie Lortzing durch kleine Einzelzüge zu charakterisieren wußte, sei hier bemerkt an der Art, wie die verkleideten drei Gesandten sich zu erkennen geben. Der Franzose antwortet temperamentvoll in Viertel- und Achtelbewegung “Gesandter des Königs von Frankreich und Navarra”; wesentlich ruhiger, in Halben und Viertelnoten erwidert der Russe “Gesandter des Kaisers aller Reußen.” Ehe der Engländer aber antwortet, ertönt im Orchester eine sich windende Figur, worauf er im unerschütterlichen Phlegma auf halbe und Dreiviertelnoten singt “Gesandter der britischen Majestät”. Die Chöre atmen Frische und Lebensfreude, und auch ihnen ist eine angemessene Stellung im Ganzen angewiesen. Das Ballett findet wirksame Verwendung in dem kräftig flotten Holzschuhtanz, auch ein Bühnenorchester ist herangezogen. Die Ouvertüre beginnt, auffällig genug für eine komische Oper, in Moll (was später nur Cornelius in der ersten Ouvertüre zum “Barbier von Bagdad” nachgeahmt hat) und mit einem langsamen Satz. Das Allegro bringt erst ein eigenes, auf Dudelsackquinten ruhendes luftiges Thema, verarbeitet dann aber Themen aus der Oper in farbigen Wechsel. Die ganze Partitur zeigt überaus klare Anordnung und Durchsichtigkeit bei aller wünschenswerter Fülle des Klanges. Der “Zar” repräsentiert den Typus der Lortzingschen Oper, der im wesentlichen allen späteren zugrunde liegt. Ein Meisterwerk in seiner Art, hat man es – in einiger Entfernung – neben den “Figaro” als Muster einer komischen Oper gestellt, allerdings nicht sogleich. Trotz des Beifalls beim Publikum verhielt sich die Kritik anfangs recht spröde. “Herr Lortzing versteht das Theater und den Lauf der Welt, der er mit klugem Fleiße nichts anderes gibt, als was sie schmackhaft findet. Wir tadeln das nicht im geringsten, im Gegenteile erkennen wir des Mannes Gewandtheit nach Verdienst an; er weiß zu wohl, dass auf teutschen Bühnen von einem Teutschen eben nichts durchgeht, als was sich dem Behagen mit heiterem Sinne fügt. Das will und das versteht er, und darum ist die Oper bestens zu empfehlen”. So bitter-süß klang das Lob der “Allgem. Musikalischen Zeitung”, und erst nach dem großen Erfolge des Werkes am Berliner Opernhause (4 Jan. 1839) fand es allgemeine Anerkennung und Verbreitung, nicht nur in Deutschland, sondern in allen Kulturländern.
In Rußland stieß der “Zar” auf Zensurschwierigkeiten. Direktor Engelken in Riga half sich dadurch, dass er die Handlung der Oper nach Antwerpen verlegte und den Titel in “Flandrische Abenteuer” abänderte. Die Personen hießen nun:
Maximilian I: römisch-deutscher Kaiser, unter dem Namen Max Sternberger als Zimmergeselle;
Max Haselmeyer, ein junger Österreicher, Zimmergeselle;
von Flüth, Bürgermeister von Antwerpen;
Marie, seine Nichte;
Graf von Greisenstein, österreichischer Botschafter;
Graf von Westburg, englische Geschäftsträger;
Großmarschall Graf von Latour, Gesandter von Frankreich;
Witwe Browe, Zimmermeisterin.
Das alljährlich in Leipzig gefeierte Fest des Fischerstechens gab Lortzing die Anregung zu einer neuen Oper, die am 20. September 1839 die Uraufführung erlebte: “Caramo oder Das Fischerstechen”. Große komische Oper (wie auch Wagner sein “Liebesverbot” 1836 bezeichnet hatte) nennt Lortzing sein Werk, das nach dem Französischen des St. Hilaire und Duport frei bearbeitet war. Den gleichen Stoff hat auch Carl Blum (ohne Angabe der Quelle) in seiner zweiaktigen Buffooper “Bergamo”verwendet, die am 29. August 1837 an der Berliner Hofoper zuerst gegeben wurde und bis 1840 acht Aufführungen erlebte. Die Personen heißen bei:
Lortzing:
Enrico, Prinz von Forli.
Marquis von Farambolo.
Rosanna, seine Tochter
Graf Arnoldo, Vertrauter des Prinzen
Graf Carlo, Kammerherr.
Willibaldo, Haushofmeister des Marquis.
Caramo, ein junger Fischer
Angela, seine Braut
Blum:
Julius, Sohn des Duca von Piacenza. Marquis von Dunderteniront.
Elzida, seine Nichte Graf von Belmonte.
Matteo, Intendant.
Stefano, Page in des Marquis Diensten.
Bergamo, ein Maurergesell.
Angelina, ein junges Bürgermädchen.
Die Handlung spielt sich in beiden Werken auf dem Schlosse des Marquis in Oberitalien ab und entwickelt sich aus der üblichen Personenverwechslung. Der Prinz soll dem lockeren Leben der Residenz entzogen werden und wird auf das Schloß des Marquis gesandt. Dieser faßt sogleich den Plan, seine Tochter (Nichte) zur Gattin des Prinzen zu machen, trotzdem sie mit Graf Arthur bereits versprochen ist. Der Prinz sucht sich allem Zwang rasch zu entziehen, indem er mit Caramo (Bergamo) die Kleider und die Rollen tauscht. Die Aufklärung am Schlusse führt natürlich die Paare zusammen. Hier läßt Lortzing ein wirkliches Fischerstechen, eine Wasserpantomime auf der Bühne darstellen, deren szenische Schwierigkeit wohl mit Schuld trägt, dass die Oper nur an wenigen Bühnen Annahme fand und unveröffentlicht blieb. Lortzing zählte sie nicht mit Unrecht zu seinen besten Schöpfungen und hat darin einen vornehmen Ton angeschlagen, wie sonst nie mehr. Der Marquis ist die am feinsten gezeichnete Buffopartie, die er überhaupt geschrieben hat, und wie er Konversationsmusik macht und ein ganzes Konzert auf der Bühne aufführen läßt, wie er auch Lokalfarbe einzelnen Nummern verleiht, alles verrät, dass sich Lortzing hier ehrgeizig ein höheres Ziel gesteckt hatte.
Auf das Strophenlied verzichtet er ganz zugunsten der ausgeführten Arie, aber zugunsten seines Erfolges, der sich in der alten Oper ja meist auf dankbare Solonummern stützte und bei Lortzing speziell auf das Lied. Die Ensembles sind wieder vortreffliche Arbeiten; von besonderer Wirkung das zweite Finale, ein drolliger Familienrat und ein überaus frisches Duett zwischen Caramo-Angela im letzten Akt.
“Caramo” ist die einzige Oper, aus der Lortzing später im Wildschütz, Waffenschmied, Undine und Opernprobe kleine Anleihen machte; die Ouvertüre hat er für “Regina” umgearbeitet.
Wiederum für ein Leipziger fest, die vierte Säkularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst – für die Mendelssohn seine Gutenberg-Kantate schrieb – komponierte Lortzing seinen “Hans Sachs”, dessen text im wesentlichen Philipp Reger nach dem Deinhardtsteinschen Schauspiel verfaßte, zu dem dann Düringer Verse und Lortzing komische Partien beisteuerte. Die Aufführung fand am 23. Juni 1840 statt, und Schumann berichtet, freilich nicht aus eigener Anschauung, über den guten Erfolg, der ein dauernder allerdings auch nicht sein sollte. Der Titelheld, der hier im Gegensatz zu Wagners gereiftem und philosophisch abgeklärten Sachs ganz als jugendliche Liebhaber geschildert ist, erscheint gar zu sentimental, auch in seinem Lied “Der Liebe Glück, das Vaterland”, während die auch von Wagner übernommene Szene, wie Sachs am Schustertisch arbeitend von seinen Poetenträumen nicht loskommen kann, auch hier des Reizes nicht entbehrt.
Meister Steffen, der Goldschmied, Vater der von Sachs geliebten, freundlich gezeichneten Kunigunde, führt sich anfangs mit bürgermeisterlicher Großsprecherei recht wirksam ein, ist aber seinem holländischen Kollegen in der Komik nicht gewachsen und tritt später allzusehr in den Hintergrund. Der Plagiator Eoban Hesse und der stotternde Merker sind ergötzliche Chargen; Lortzingsche Vollblutmenschen aber sind die erst eingefügten, bei Deinhardtstein nicht vorhandenen humoristischen Gestalten des Schusterlehrlings Görg, eines achtungswerten Vorfahren des meistersingerlichen David, und der von ihm geliebten Zofe Kunigundens, Kordula, einer liebenswürdigen Nachfahre des Freischütz-Ännchen.
Musikalisch bewegt sich Lortzing hier auf dem ihm heimischen Boden des deutschen Bürgertums, und in seiner schlichten Weise charakterisiert er auch das Zeitalter recht glücklich. Er hat sich wieder redlich Mühe mit seiner Partitur gegeben; Doppelchöre erscheine hier und Ansätze zu polyphone Arbeit; einzelne Themen sind leitmotivisch verwendet, und kleine Tonmalereien, wie in Kordulas Kartenleger-Arie das Mischen, Aufschlagen und Umkehren der Karten, im Schusterchor das drahtziehen usw. bezeugen die Sorgfalt in der Ausmalung der Situationen. Die Ensembles, aus denen sich wieder kleine a-capella-Sätze wirksam abheben, zeigen aufs neue Lortzings Geschicklichkeit, die Einzelstimmen individuell zu gestalten, und die Finales sind diesmal besonders breit ausgeführt und kräftig gesteigert. Aber der “Hans Sachs” war den Leuten nicht lustig genug, und trotz Görgs hübscher Schusterlieder verschwand die Oper von den Bühnen, ehe noch die “Meistersinger” erschienen. Vereinzelte Aufführungen in neuerer Zeit haben zwar noch freundliche Aufnahme gefunden, namentlich durch Wiedereinfügung des nachkomponierten dritten Finales, das dem Werke einen befriedigenden musikalischen Abschluss gibt, aber auf dem Theater hat ihm der ideale Sachs Wagners den Lebensfaden abgeschnitten. Bei den Nachkommen der Meistersingerzunft, den Gesangvereinen hingegen dürfte es noch immer sein Dasein weiterführen und Freunde finden.
“Mein Sohn ist sehr fleißig, denn neben seiner großen Beschäftigung im Theater arbeitet er noch viel in der Musik um etwas zu verdienen”, schreibt einmal Lortzings Mutter. Das “Verdienen” hatte der Meister gar notwendig, denn im Februar 1841 war ihm wieder ein Töchterchen geboren worden, und die wachsende Familie wollte erhalten und erzogen sein. Im Dezember starb dann der Vater, und wenn die Mutter auch noch spielte und ihre kleine Gage bezog, erwachsen dem Sohn doch neue, wenn auch gern geübte Pflichten.
Trotz mancherlei Hemmungen aus solchen Erlebnissen erschien am letzten Tage des Jahres doch wieder eine neue komische Oper auf der Bühne: “Casanova”, nach einer französischen Komödie “Casanova im Fort St. André”, die in der Übersetzung von K. Lebrun heimisch geworden war. Lortzing hat das Buch gründlich umgearbeitet und einen ganz eigenen ersten Akt dazu geschrieben, dagegen den letzten weggelassen und den Abschluss in den Ballsaal verlegt. Die Frau des Kommandanten Busoni und deren Kusine Claudia wurden in eine Figur, die unverheiratete Nichte Rosanna verschmolzen, in die sich Casanova ohne Verletzung heiliger Bande verlieben kann. Der Titelheld selbst aber wurde aus dem leichtsinnigen und frivolen Memoirenschreiber zu einem ritterlichen Kavalier umgewandelt, dem “Freiheit der Seele mächtig, heilig Element” ist. Der Freiheitsruf, als Refrain von Casanovas Arie, durchklingt überhaupt die ganze Oper vom ersten Takte der Ouvertüre bis zum Ausklang des letzten Finale, und damit knüpft Lortzing wieder an die Zeitströmung an, die den Freiheitsruf seit 1830 immer lauter erschallen ließ. Das Gutenbergfest war schon ein Ausdruck dieses Dranges gewesen, jetzt nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. waren in ganz Deutschland Wünsche und Hoffnungen auf eine Neugestaltung der Dinge wieder belebt worden, wie es in der erwähnten Schiller-Kantate bereits vernehmbar war.
Sang schon Caramo mit ironischem Doppelsinn “Es lebe der Prinz und seine Konstitution”, so wurde hier das Wort “Freiheit” zum ernsthaften Leitmotiv für Casanova, der damit die allgemeine Stimmung anklingen ließ. Nicht zufällig ist auch der weinselige Gefängniswärter Rocco – worin im Originalstück auch nicht die leiseste Andeutung zu finden ist – zu einem Schwärmer für die Republik, einem mit der Geschichte Venedigs genau vertrauten Politiker geworden. Auch Rocco hat sein Leitmotiv, das jedesmal sein Erscheinen begleitet und sehr charakteristisch sein Hinken andeutet. Einen besonderen musikalischen Witz leistet sich Lortzing für die Verspottung der Polizei, ein drolliges Fugato des Chors der Hermandad, das die Furcht und Ängstlichkeit ganz köstlich malt, während die Sänger fortwährend versichern: “Polizei, die fürcht’ sich nicht”. Die ganze Partitur ist reich an hübschen Einzelzügen, und jede Nummer ist so wohlgelungen, das Ganze so einheitlich geformt und abgerundet, dass man sich wundern muß, die Oper nicht mehr auf dem Spielplan zu finden, die so dankbareAufgaben bietet, allerdings auch große Anforderungen an die schauspielerische Gewandtheit und Leichtigkeit der Sänger stellt.
Außer einer Gelegenheitsarbeit, der Musik zu dem Festspiel von H. Schmidt “Uranias Festmorgen”, das am 29. August 1842 beim 50 jährigen Stiftungsfest kam, entstand in diesem Jahre wiederum eine Oper, die am Silvesterabend zuerst gegeben wurde: “Der Wildschütz, oder Die Stimme der Natur”.
Lortzing hatte diesmal ein Kotzebuesches Lustspiel, “Der Rehbock” betitelt, zum Libretto umgewandelt und mochte wohl gerade an der Arbeit sein, als sich für Leipzig ein bedeutsames Ereignis vollzog: Mendelssohn dirigierte zum erstenmal im Theater u.z. seine Musik zur “Antigone”, die am 5. März zum Benefiz für den “Theater-Pensionsfonds” gegeben wurde. Die ganze Stadt verfiel in eine lächerliche Gräkomanie; man begrüßte sich in gesellschaftlichen Kreisen nicht mehr mit “Guten Morgen”, sondern deklamierte “Strahl der Sonne, du schönstes Licht”, unterhielt sich mit Zitaten aus dem Sophokles und trug Kragen à la grecque “wie närrisch”. Diese Modetorheit persiflierte Lortzing in der Gräfin Eberbach mit treffendem Witz, der noch heute unfehlbar zündet, ohne eine örtliche Beziehung, ohne dass man den Ursprung der Satire kennt. Von seiner Absicht, den komischen Schulmeister Basedora zu nennen, nach dem verdienstvollen Begründer der Philantropine und des neueren Erziehungswesens, ist er wieder abgekommen. Aber welch köstliche Figur ist sein Baculus geworden, der im original der widerliche Pachter Grauschimmel ist. Und wieder hat Lortzing die Frau des Pachters, um das Anstößige zu mildern, ein Mädchen und erst seine Braut sein lassen. Die Pikanterie des Ganzen, die bei Kotzebue so derb wie möglich geschildert ist, konnte Lortzing natürlich nicht völlig ausschalten, aber er hat mit Geschick doch alles erträglich und nur komisch wirkend gestaltet, und die Grazie seiner Musik bringt über alles Verfängliche leicht hinweg, wie bei Mozart in “Figaro”. Lortzings eigene Erfindung ist die Einfügung der ganzen Billardszene und die Figur des Haushofmeisters Pankratius. Zum erstenmale bricht er hier mit der Gewohnheit, die Oper mit einem Chor zu eröffnen; er läßt den charakteristischen Großvatertanz vorausgehen; und auch in seinen Märchenopera folgt er diesem Beispiel: “Undine” beginnt mit Veits Arie, “Rolands Knappen” mit einem Solo-Terzett. In der Ouvertüre, die aus Themen der Oper zusammengefügt ist, wendet Lortzing einen neuen Effekt an. Wie er in der Ouvertüre zur “Jagd” den Hornruf des verirrten Fürsten auf der Bühne erklingen läßt, so ertönt hier im “Wildschütz” der Flintenschuß, der die Vorgeschichte der ganzen Handlung treffend darstellt – wie der Hornruf in der “Jagd – in der Ouvertüre hinter der Szene.
Zum erstenmale auch verzichtet Lortzing darauf, einen zweiten Akt ohne ausgeführtes Finale zu schließen; nach der meisterhaften Billardszene läßt er dagegen den ersten und dritten Akt mit prächtig aufgebauten Finales; aus dem ersten tritt das liebliche Lied der Baronin “Bin ein schlichtes Kind vom Lande” besonders hervor, aus dem letzten das Vokal-Quartett “Unschuldig sind wir alle” und der echt schulmeisterliche Kinderchor. In der ganze Oper versagt keine Nummer, auch die Chöre der Jäger, der bei der Vorlesung versammelten Dienerschaft, der tanzlustigen Mädchen sind kleine anmutige Genrebilder, und Solo- wie Ensemble-szenen sind voller Heiterkeit im Text wie in der Musik. Und dennoch ist der “Wildschütz” immer bei weitem seltener gegeben worden, als die anderen Lortzing-Opern, selbst in neuester Zeit, wo er in der Wertschätzung allen anderen den Rang abgelaufen hat, erreicht die Aufführungsziffer bei weitem nicht die des Waffenschmied oder Zaren. Wie für den “Casanova” fehlen häufig die spielgewandten Darsteller.
Auf das Lied außerhalb des Rahmens der Ensemblestücke hat Lortzing im “Wildschütz” verzichtet, ein einziges koupletartiges “‘s kommt alles im Leben auf Grundsätze an” hat er mit recht wieder daraus entfernt. Eine rechtkomponierte Arie des Barons “Jokaste, Theben und Oedip” hat nicht Eingang gefunden.
“Fühlt der Vogel seine Flügel, hebt er sich zur Sonn’ empor”, läßt Lortzing seinen Casanova singen, und so drängt es auch ihn, den Ikarusflug zu wagen. Er möchte zeigen, dass er auch über das Komische hinaus kann. Vielleicht brachte der Tod Fouqués am 23. Januar 1843 ihm die “Undine” nahe, jedenfalls entschloß er sich bald danach zur Schöpfung dieser Oper, die ihn auf das romantische Gebiet führen sollte. Noch auf einem anderen Wege suchte er sich seinem Ziele, als Musiker zu gelten, zu nähren. Seit er so erfolgreich als Komponist aufgetreten war und in der Musik seinen wahren Beruf erkannt hatte, war ihm die Tätigkeit als Schauspieler zuwider geworden: Kapellmeister wollte er sein, nur Musiker, und er grollte Ringelhardt innerlich dass ihm dieser nicht längst die Stellung angetragen. Der aber meinte: Lortzing ist ein guter Schauspieler, wer weiß, ob er ein guter Kapellmeister wird. Nun trat Ringelhardt, Ostern 1844, von der Direktion zurück, und Dr. Chr. Schmidt, der neue Direktor brachte Lortzings Herzenswunsch zur Erfüllung, indem er ihn als Kapellmeister engagierte. “So weit waren wir denn endlich”, schreibt er in kindlichen Freude, mir ist’s, als säße ein kleines Orchester mitten in meiner Brust und spielte einen Freudenmarsch. Albert Lortzing, Kapellmeister, nicht Mime – Kapellmeister! Das ist die Ouvertüre meines Glückes!”.
Erhöht wurde diese freudige Stimmung durch eine Sommerreise zu den Freunden Düringer und Reger nach Mannheim und Frankfurt, wo er auch seine Opern “Zar” und “Wildschütz” als Gast unter reichen Ehrungen dirigierte, und so entstand unter den heitersten Eindrücken, aus wahrem innerlichen Glücksgefühl heraus, seine “Undine”, wie er sie brieflich einmal ankündigt, “große lyrische romantische Oper mit allerlei Kanaillerien, nach Fouqué von mir äußerst schlau bearbeitet”. Anfangs will die Arbeit gar nicht vom Fleck; da der Text “mehr tragisch wird”, möchte er sich “einen ernsthaften Versmacher anschnallen”, und er klagt einmal: “Ich stehe bei meiner Undine sehr unterm Pantoffel. Ach, meiner guter Philipp, das Weib ärgert mich sehr! Ich habe mir diese Ehe glücklicher vorgestellt! Na vielleicht vertragen wir uns noch, und an Scheidung ist – bei dem Mangel an guten Frauen – nicht zu denken”. Nun kamen die neuen Berufspflichten hinzu. Am 10. August 1844 eröffnete Dr. Schmidt seine Direktion mit “Don Carlos” und einem Prolog von Blum Als erste Oper folgte “Don Juan”, dirigiert von Lortzing, der damit seinen in Mannheim vom Komitee als Ehrengeschenk erhaltenen Taktstock feierlich einweihte.
Seine Leistungen als Kapellmeister blieben nicht unangefochten, wenn sie auch von anderer Seite warm anerkannt wurden; jedenfalls waten Klagen über mangelhafte Festigkeit im Zusammengehen von Sängern und Orchester im Anfang wenigstens nicht ganz unberechtigt. Die ersten Neuheiten, die herausgebracht wurden, Dorns “Schöffe von Paris” und Netzers “Mara” schlugen nicht ein, und an der unter seinen Augen entstehenden “Undine” ging der Direktor achtlos vorüber wie an Wagners “Rienzi” und “Holländer”. So ertönte mancher Mißklang aus dem kleinen Orchester in Lortzings Brust, aber die Undine wurde doch endlich vollendet, und da sich Direktor Cornet in Hamburg erbot, die Oper zuerst zu geben, und Breitkopf & Härtel gleichzeitig den Klavierauszug erscheinen zu lassen sich bereit erklärten, faßte er wieder frohen Mut. Aber immer aufs neue mußte die Aufführung verschoben werden und erst am 25. April 1845 fand sie unter Lortzings persönliche Leitung statt, nachdem Magdeburg schon vier Tage vorher die Oper heraus gebracht hatte.
Die Aufnahme in Hamburg war eine sehr ehrenvolle, in Magdeburg eine enthusiastische, dennoch fehlte es auch nicht an “lieblosen Berichten” über Lortzings Flug ins romantische land, und allezeit ist “Undine” sein Schmerzenskind geblieben, denn auch später in Wien sind die Blätter arg “über das arme Wasserfräulein hergefallen”.
Lortzing fand das sehr erklärlich, “denn wenn man der Oper auch alles mögliche aufbürdet, so wird man ihr doch wenigstens keinen italienischen Schlendrian nachsagen, und dieser Kram nur macht hier Glück”. Hier ist’s deutlich ausgesprochen, dass Lortzing – so weit er es vermochte – in dem Kampfe gegen die seichten ausländischen Modeopern, die die deutschen Bühnen überschwemmten, gleichfalls eine Lanze brechen wollte.
Was er schuf, war freilich kein Bahnbrecher des Werk wie Tannhäuser”, der gleichzeitig in Dresden entstand, bedeutet aber doch einen energischen Schritt aus dem deutschen Märchenschatz. Demgegenüber muß es sehr besonnen und bescheiden genannt werden, dass Lortzing sein Können nicht überschätzte, sondern an der Form der Dialogoper festhielt und die bei Fouqué gar nicht vorkommenden komischen Figuren des Knappen und Kellermeisters einflocht. Es zeugt von seinem künstlerischen Sinn, dass er nicht den äußeren Rahmen seines Werkes sonderlich erweiterte, sondern seine Musik innerlich zu vertiefen suchte, und davon gibt die ganze Partitur redlich Zeugnis. Die systematische Verwendung, der kunstvollere Bau der Ensemblestücke und die tiefere Beseelung seiner musikalischen Sprache in den ernsten Teilen der Oper (es sei nur an das 3. Finale mit dem Schwanenchor erinnert) lassen nicht nur die ernsthafte Arbeit erkennen, sondern auch das reich Innenleben, das in romantischen Tonbildern oft glücklichen Ausdruck findet. Allen kritischen Ausstellungen zum Trotz hat “Undine” sich behauptet und ist mit der Zeit zur am meisten gegebenen Lortzingschen Oper geworden.
Dem schönen Aufschwung, den Lortzings leben und Schaffen bis zum Entstehen der “Undine” genommen, sollte allzubald die trivialste Ernüchterung folgen. Von Hamburg zurückgekehrt, erhielt er die Kündigung seiner Kapellmeisterstelle, die er als eine Verletzung seiner Künstlerehre nicht weniger empfand als die Gleichgültigkeit gegenüber seine neuen Oper. Dazu kamen die Geldsorgen, die sich mit dem Aufhören der Gage einstellten, trotzdem seine Opern überall gegeben wurden. Aber es gab damals noch keine Tantièmen, das Aufführungsrecht wurde jeder Bühne gegen ein geringes Honorar ein für allemal überlassen, und nur neue Werke konnten wieder einbringen.
Ende November gab Lortzing im Theater ein großes Konzert, in dem er Neuheiten von Berlioz und Mendelssohn und das erste Finale aus seinem “Hans Sachs” dirigierte. Es blieb ihm ein Überschuß von 270 Talern. “Deutschland läßt seine Komponisten nicht verhungern, habe ich doch wenigstens auf ein paar Monate wieder zu leben”, schreibt er.
Am Hoftheater in Ballenstedt dirigiert er im Januar 1846 und im März in Leipzig seine “Undine” und hat die Genugtuung, dass sie hier die erste Opernneuheit unter der neuen Direktion ist, die Erfolg hat.
Schließlich kamen auch langwierige und fast schon abgebrochene Verhandlungen mit Direktor Pokorny, der das Theater an der Wien gepachtet hatte und Lortzing als Kapellmeister engagieren wollte, zum Abschluss, indem er Lortzing verpflichtete, seine neue Oper “Der Waffenschmied” in Wien zur Aufführung zu bringen und selbst zu dirigieren.