Kapittel 4

Mitte April traf Lortzing in Wien ein, da Ende des Monats “Der Waffenschmied” herausgekommen sollte; man hatte aber eben erst mit den Proben begonnen, die Jenny Lind Tichatschek kamen noch zu Gastspielen, und erst am 30. Mai fand die Aufführung statt. Lortzing hatte wieder nach früherem Brauch ein nicht sehr poetisches, aber wirksames älteres Theaterstück, des ehemaligen Wiener Burgschauspielers F.W. Zieglers Lustspiel “Liebhaber und Nebenbuhler in einer Person”, zum Operntext umgewandelt, vieles Unsympathische entfernt oder freundlich gestaltet, und namentlich in Mariens Szene und Arie am Schlusse des ersten Aktes – die er ganz aus Eigenem hinzufügte – sich zu bemerkenswerter poetischer Stimmung erhoben. Wie im “Hans Sachs” hatte er wieder ein Stück mittelalterlichen deutschen Bürgerlebens dargestellt und in Wort und Ton den rechten Ausdruck dafür gefunden. Bei aller Schlichtheit ist das Tongewand so reich an Wärme und Behaglichkeit, dass wohl niemand ahnt, dies Werk sei “in Kummer gezeugt, in Sorge geboren”.

Dem Gegenstand entsprechend, hat Lortzing höhere Ambitionen beiseite gelassen und sich begnügt ein heiteres Volkstück zu schaffen, dessen Liederverse ja auch in den Sprachschatz der Deutschen übergegangen und sprichwörtlich geworden sind, wie die Melodien dazu Gemeingut wurden. Es sei nur an den “Jüngling mit lockigem Haar” und die “köstliche Zeit” erinnert, an “Gern gäb’ ich Glanz und Reichtum hin”, an das schelmische “Das kommt davon wenn man auf Reisen geht” und das lebensfrohe “Man wird ja einmal nur geboren”. Neu ist bei Lortzing im “Waffenschmied”, dass er in der Ouvertüre, in die sogar ein kleines Fugato verflochten ist, diesmal nur eigene Themen verwendet – einzig das Arioso des Grafen ist der Oper entnommen. Zum erstenmal (seit der “Jagd”) begegnen wir auch zwei selbständigen Entreakten, die hier Mariens Arien variieren. Beachtenswert ist ferner der große Marsch im letzten Akt, dessen vornehm-ritterlicher Schwung sich von dem ausgeprägt bürgerlichen Charakter der übrigen Musik sehr glücklich abhebt. Etwas ähnliches hatte Lortzing bereits in dem feierlichen Marsch aus der “Schatzkammer des Ynka” geschaffen, der ein würdiges Seitenstück bildet.

Die Aufführung in Wien stand, Staudigl in der Titelrolle ausgenommen, nicht auf erster Höhe, aber Chöre und Orchester waren “präziser als sonst”, und trotzdem bei der vorgerückten Jahreszeit der besuch nicht sehr zahlreich war, gab es doch einen freundlichen Erfolg und – Lortzing wurde als Kapellmeister engagiert, wenn auch unter Bedingungen, die von vornherein ein Auskommen unmöglich erscheinen lassen mußten. Aber seine Musikerehre war wieder hergestellt, er wat Kapellmeister an dem glänzenden Operninstitut, das der Hofoper Konkurrenz bot, und neue Werke mußten ja auch neue Honorare bringen. “Der Waffenschmied” verbreitete sich auch in der Tat rasch, und die Brust voll schöner Hoffnungen, arbeitete Lortzing nach seiner Heimkehr in Leipzig wieder an einer neuen komischen Oper.

Im Spätsommer erfolgte die Übersiedlung nach dem “schönen Wien”, aber Enttäuschung auf Enttäuschung folgte. Für die deutschen Tonmeister fand er keinen Sinn “nur immer Dudelei und Trillerei”, wie sie die Italiener brachten, wollte man. “Undine” versagte trotz der Neubearbeitung, und für sein neuestes werk war kein raum im Spielplan. So fand denn wieder in Leipzig, am 13. Dezember 1847, die Uraufführung statt.

“Zum Großadmiral” war nach einem Lustspiel von A. Duval bearbeitet, das in Ifflands Verdeutschung als “Heinrich V. Jugendjahre” in Deutschland viel gegeben wurde. Der englische Thronerbe sucht sich den Regierungssorgen und den Ketten der Häuslichkeit zu entziehen, indem er sich häufig zum Großadmiral abberufen läßt bei dem eine Sitzung dringend nötig sei. Der “Großadmiral” ist aber ein Wirtshaus in dem Prinz Heinz, als Matrose verkleidet fröhlich zecht und zum Mißvergnügen seines Pagen, der als Singmeister der Wirtstochter Betty dort verkehrt, dem Mädchen den Hof macht. Dem Prinzen wird die Börse gestohlen, und als er einen kostbaren Ring als Pfand für seine Zeche geben will, wird er selbst für einen Dieb gehalten und mit dem Pagen gefangen genommen. Alles dies ist aber vom Vertrauten des Prinzen, Graf Rochester, so arrangiert worden, der, um Lady Claras, einer Hofdame, Hand zu erhalten, der Prinzessin versprochen hat, ihren Gatten von seiner Abenteuerlust zu heilen, was auch bestens gelang.
Seinem Prinz Heinz hat Duval leider keiner Falstaff an die Seite gestellt, aber in dem Schenkwirt Movbray tritt doch eine aus kernigem Holz geschnitzte Figur auf, die Lortzing ganz in ins Seemännische übertragen und textlich wie musikalisch aus dem Vollen geschaffen hat. Der ganze zweite Akt, der im Wirtshaus spielt, ist ein echter Lortzing und atmet die ganze Frische seines Temperaments. Weniger behaglich fühlte sich der Meister auf dem Boden des Hofparketts, und so sind auch die den zweiten umgebenden beide Akte etwas zu konventionell ausgefallen, wenn man auch vielem Hübschen und Feinerwogenen begegnet. Da ist gleich die Ouvertüre, die wie die zum “Figaro” in einem einzigen Allegrosatze unaufhaltsam dahinbraust, kein Thema aus der Oper verwendet und in der Durcharbeitung durch Vergrößerung und Verkleinerung des Eingangsmotives zu interessieren weiß. Ein Bravourstück ist die Arie Movbrays mit der Schilderung der Seeschlacht, und auch die übrigen Nummern des zweiten Akts, das Unterrichtsduett, das leichtbeschwingte Quartett und das drängende Finale lassen bedauern, dass das Werk so gänzlich brach liegt. Trotz der freundlichen Aufnahme, die es in Leipzig fand, ging es nur über wenige Bühnen.

Eine interessante Umgestaltung hat es 1878 erfahren, als es auf dem Schultheater des Klosters Einsiedeln aufgeführt wurde. Da keine Frauenrollen vorkommen durften, wurde sich bei ihm nicht um Lady Claras Hand sondern – um den Admiralshut. Betty wird der Sohn des Wirtes, der nun nicht den liebenswürdigen Lehrer besingt, sondern seiner Freude Ausdruck gibt, dass auch er Seemann werde dürfe. Man könnte meinen, die Bearbeitung stamme aus neuester Zeit, so viel Flottenbegeisterung ist darin ausgesprochen.

Das gesellige Leben in Wien zeitigte u.a. einen Männerchor zur Feier des Ritterschlages für den Orden der Löwenritter, eines Vorläufers des Schlaraffia wie der Leipziger Tunnel, und Lieder und Chöre auf Texte von J.N. Vogl; bald aber sollten ernstere Töne erklingen.

Das Frühjahr 1848 brachte den Ausbruch der Bewegung, die schon lange gegährt hatte. Am 13. März erklangen die Glocken zum Straßenkampfe in Wien, und statt der Operchöre studierte Lortzing jetzt im Theater den Studenten die von ihm komponierten Freiheitslieder ein (“Neues Osterlied”, “Das Lied vom Deutschen Kaiser” usw.). Am 31. Mai, einen Tag bevor Wagners “Gruß aus Sachsen an die Wiener” in der Zeitung erschien, begann Lortzing die Dichtung einer neuen romantischen Oper, die die Zeitereignisse unmittelbar auf die bühne brachte: “Regina”. Natürlich mußte er sich, wenn er sein Werk aufgeführt wissen wollte, aller revolutionärer Tendenzen enthalten, und so sehen wir denn wohl einen Arbeiterstreit und ein “Freicorps” von Aufrührern in die Handlung eingreifen, aber die Rebellen sind als eine ganz gemeine Räuberbande geschildert, über die gerechterweise die Ordnungspartei den Sieg davon trägt. Die Liebesintrige um die Tochter des Fabrikanten, die von dem verschmähten Liebhaber entführt, von dem bevorzugten aber befreit wird, ist schwächlich und romanhaft geschildert. Auch mancherlei Widerspruchsvolles in der Haltung der Personen ergab sich aus dem inneren Zwiespalt.

“Regina” ist bei Lebzeiten des Meisters nicht auf die Bühne gelangt, erst am 21. März 1899 fand die Uraufführung am Kgl. Opernhause in Berlin statt, nachdem Adolf L’Arronge eine Umarbeitung vorgenommen hatte, die die Handlung in die Zeit der Freiheitskriege verlegte und am Schlusse Blücher an der Spitze der schlesischen Armee unter den Klängen des Yorkschen Marsches auf der Szene erschienen ließ. So war aus der revolutionsoper eine patriotische Festoper geworden, die ihren Weg über die meisten Bühnen machte, allzubald aber wieder vom Spielplan verschwand, obwohl die Musik, namentlich wieder der zweite Akt mit dem frischen Drididum-Liebe des Tenorbuffos, im ganzen freundlich aufgenommen wurde und die Zurücksetzung keineswegs verdient.

Unter den Stürmen der Revolution brach Pokornys Opernunternehmen zusammen, und am 1. September 1848 stand Lortzing vollkommen aussichtslos in Wien ohne Engagement. Die Aufständischen wurden Herren der Stadt, aber am 31. Oktober eroberten die kaiserlichen sie wieder zurück, und am 9. November wurde Robert Blum, der als Führer einer Deputation des Frankfurter Parlaments gekommen war, und den Lortzing noch wiederholt aufgesucht hatte, in der Brigittenau erschossen.

Unter diesen traurigen Ereignissen entstanden wieder ein paar heitere Werke Lortzings, deren eines ihn schon auf das triviale Gebiet der Lokalposse führte. “Vier Wochen in Ischl” hieß eine dreiaktige Posse von J.K. Böhm, die am 18. März 1849 am Theater an der Wien zuerst gegeben wurde. Der musikalische Witz darin ist, das jemand für seinen Hausball vier Musiker bestellt und vier Kontrabassisten mit ihren Instrumenten sich einstellen, was sehr lustig komponiert ist.

Kapittel 5