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Noch während der Arbeit an “Regina” hatte Lortzing eine neue “komisch-romantische Zauberoper” begonnen, die er am 14. März 1849 vollendete: “Rolands Knappen oder Das ersehnte Glück”. Ohne Aussicht, sie in Wien zur Aufführung zu bringen, hatte er sich wieder nach Leipzig gewandt, und der neue Direktor das Stadttheaters, Rudolf Wirsing, lud den Komponisten zur Einstudierung und Leitung seines Werkes ein gegen ein Honorar von 100 Talern. Im April traf Lortzing ein , mußte aber wieder erst die Aufführung von Halevys “Tal von Andorra” abwarten, ehe er an die Arbeit gehen konnte. Da erhob sich am 9. Mai in Dresden der Aufstand, der durch Richard Wagners Flucht und die Gefangensetzung von August Röckel, dem Gatten von Lortzings Kusine, das Freiwerden von zwei Kapellmeisterstellen zur Folge hatte. In Berlin starb zwei Tage darauf Otto Nicolai, und so schienen sich unvermutet Aussichten für Lortzing an beiden Orten, zu denen er in Beziehungen stand, zu eröffnen. Er bewarb sich sogleich schriftlich, begab sich auch selbst an Ort und Stelle, aber wie er sich früher schon nach Guhrs plötzlichem Tode in Frankfurt vergebens un die Nachfolgerschaft bemüht hatte, so auch hier. In Dresden wurde August Krebs, in Berlin Heinrich Dorn engagiert, für Lortzing, dessen Opern überall auf dem Spielplan waren, fand sich kein Platz.
Am 25. Mai endlich fand die Aufführung von “Rolands Knappen” statt und wurde “mit ungeheurem Jubel” aufgenommen, trotzdem nur zwei Orchesterproben hatten stattfinden können und für die Ausstattung so viel wie nichts getan worden war. Die trüben Erfahrungen mit der “Undine” hatten Lortzing nicht abgehalten, abermals das Märchenlands zu betreten und das bekannte Musäussche Volksmärchen, das die Sagen vom Tischlein deck dich, vom Heckgroschen und dem unsichtbar machenden Käppchen (der Tarnkappe Siegfrieds entsprechend) vereinigt, als Oper zu bearbeiten. Auch hier hat Lortzing wieder vieles sympathischer als im Original gestaltet: Die alte Hexe, die den drei Knappen die Wundergarten als Lohn für verjüngende Liebesdienste spendet, ist in eine höchst würdige Königin der berge verwandelt; die falsche Königin Uracca, die in verfänglichen Liebesabenteuern den Burschen ihre Talismane ablistet, wurde bei ihm zur Tochter des Königs, der anmutigen Prinzessin Isalda, die in treuer Liebe dem Knappen in die Heimat folgt, auch als sich offenbart, dass er kein Prinz, sondern niederer Abkunft ist. Anderseits hat die poetische Stimmung des Märchens Einbuße erlitten dadurch, dass politische Zeitanspielungen einflossen. Statt der behaglichen Lustigkeit, die sonst Lortzings Baßbuffofiguren verbreiten, muß diesmal die derbe Satire in der karikaturistischen Zeichnung des Königs Garsias des Weisen ergötzen, der sich so viel auf seine Gabe, “schöne Reden” zu halten, zugute ist. Auch der chinesische Prinz Tutatu erweckt keine Sympathie, die sich nur den charakteristisch unterschiedenen drei Knappen zuwenden kann.
Dennoch findet sich des echt Märchenhaften und harmlos Heiteren genug in der Oper, um ihre Wiederbelebung zu rechtfertigen. In ihrer absoluten Reinheit und naiven Komik könnte sie als Weihnachtsmärchen recht wohl auf den Bühnen fortleben. Die politischen Anspielungen hat Lortzing mit Rücksicht auf die Zensur zum Teil selbst wieder entfernt, auch würde sie heute kaum jemand mehr bemerken. Verwundert aber würde man hören, wie ein Trinklied Sarrons im ersten Finale fast wörtlich in Strauß’ Operette “Die Fledermaus” wiederkehrt, wo es zu Beginn des zweiten Finales zum Lobe des Champagners erklingt. Lortzings Musik bringt neben den gewohnten gaben seiner Muse manches bei ihm neue Tonbild, so den Eingang der Ouvertüre mit den mehrfach geteilten, in hoher Lage tremolierenden Violine; auch verwendet er hier zum erstenmal die harfe im Orchester. Wie in “Casanova” das freiheitslied, so durchklingt hier das volkstümlich gehaltene, innige Heimatlied – von den drei Knappen gesungen – die ganze Oper. Das romantische Element erfüllt die ganze erste im Reich der Gnomen spielende Szene, und später erfreuen wie immer die frischen Ensemblenummern und lebendigen Finales. Auch Isaldas Arie mit Solo-Violine und Andiols Narren-Lied treten freundlich hervor.
Dem guten Erfolge der Rolandsknappen hatte Lortzing wiederum ein Engagement am Leipziger Theater zu danken, das ihm zunächst nur 40 Taler, von Herbst ab aber 66 b Taler Monatsgage gewähren sollte. Vom Juli ab sollte er neben Julius Rietz wirken, vom September ab dessen Stellung einnehmen, der sich auch um Berlin und Dresden beworben hatte. Nachdem auch er nicht gewählt worden war, lag ihm und auch den Leipziger Musikkreisen daran, dass er in seinem Amt verbleibe. Direktor Wirsing mußte sich fügen, und kaum dass Lortzing sich in Leipzig wieder eingerichtet hatte, wurde ihm die Mitteilung dass er sich auch ferner mit Rietz in die Direktion teilen müsse. Durch die Agitation für Rietz und auch durch die Haltung des Bühnenpersonals und Wirsings in seiner Künstlerehre sich verletzt fühlend und glaubend, er solle als fünftes rad am Wagen dienen, nahm er vorschnell seine Entlassung, die ihm auch bereitwilligst gewährt wurde, und stand völlig verdienstlos da. Und nun begann für Lortzing die traurige Zeit, in der er, um Brot für die Familie zu schaffen, an kleinen Bühnen wieder als Schauspieler auftreten mußte; und er empfand es tief schmerzlich, dass man kam, nicht um den Darsteller, sondern um den Komponisten Lortzing auf der Bühne zu sehen. Ein trauriges Schauspiel!
Zunächst trat er in Leipzig selbst in zwei ihm zustehenden Benefizen während des Dezember auf, und so schwach das Haus besucht war, hatte er immerhin noch mehr eingenommen, als zwei Monatsgagen betragen haben würden. Anfang Januar eröffnete er ein Gastspiel in Magdeburg, wo er seinen “Wildschütz” dirigierte und dann dreimal spielte; in Halle dirigierte er “Zar” und “Wildschütz”, in Gera (damals noch ein ganz untergeordnetes Privatunternehmen) spielte und dirigierte er wieder abwechselnd unter den niederdrückendsten Verhältnissen, ebenso in Lüneburg und Chemnitz: oft nur mit Mühe und Not von den mittellosen Direktoren seinen bescheidenen Honorar-Anteil herausdrückend.
Zwischendurch schrieb er wieder allerlei, aber zu nichts Größerem konnte er sich mehr aufschwingen. Ein “Cagliostro” (nach der Adamschen Oper) kam nicht über den Text-Entwurf hinaus. Ein Heft Lieder (“Mein Allerseelenlicht”, Der Invalide”, Dorf Hammer”, “Weinlied”) erschien erst nach seinem Tode bei Whistling; vier andere Lieder (“Seemanns Grab”, Mein Rock”, “Die Sterne leuchten durch die Nacht”, “Der deutschen Jugend gilt mein Lied”) kamen bei Breitkopf & Härtel heraus, die freilich den Verlag seines Einakters “Die Opernprobe” ablehnten.
Einen Trauerchor (“Herr der Welt, ein armer Pilger”) komponierte er zum Begräbnis seines Freundes Herloßsohn (1849), und die Musik zu einem Einakter “Im Irrenhause” entstand 1850, gleichzeitig auch wohl eine nicht auffindbare Partitur zu dem Benedixschen Märchen “Die drei Edelsteine”.
Wie zum Hohne eröffneten sich dann auch zuweilen glänzende Aussichten. So kam ein Antrag, seinen “Zar” mit Henriette Sontag und Lablache am Covent Garden in London zu dirigieren; die freunde wollten ihn nach Paris schicken, damit er für dort eine Oper schreibe – nichts erfüllte sich. Da erschien es ihm schon eine Erlösung, dass er ein Engagement als Kapellmeister an das neue Friedrich-Wilhelmstädtische (jetzt Deutsche) Theater in Berlin mit 50 Taler Monatsgage erhielt, wo er hoffte eine Spieloper ins Leben rufen zu können. Am 17. Mai 1850 fand die Eröffnung mit einer Fest-Ouvertüre Lortzings, der noch heute vielgespielten in Es-dur, und drei Einaktern statt, von denen Lortzing “Die Zillerthaler” und Peter Schlemil” zu dirigieren hatte. Er fand eine sehr ehrenvolle Aufnahme und sah sich in seiner Vaterstadt als Tondichter hochgeachtet. Aber die Verhältnisse des Theaters blieben auf dem Possen-Niveau, und Lortzing selbst mußte froh sein, durch Gelegenheits-Kompositionen auf diesem Gebiete etwas verdienen zu können. So schrieb er zu einer einaktigen Posse seines Kollegen Otto Stolz “Eine Berliner Grisette” noch eine niedliche Musiquette, ein Schneiderlied zu “Ein Mittwoch in Noabit”, eine verloren gegangene Musik zu Rudolph v. Gottschalls “Ferdinand von Schill”, einige Nummern zu Nestroys “Der Zerissene”, zu Kotzebues “Graf Benjowsky” und mancherlei Einlagen, die nicht einmal honoriert wurden.
Seine letzte Schöpfung sollte ein patriotisches Lied sein, das als Einlage in Rudolf Genées Einakter “Müller und Schulze” gesungen wurde: “Das Lied vom 9. Regiment”. Es feiert die Verteidiger Holbergs im Jahre 1807, und seine eingängliche Melodie verbunden mit dem kräftigen Marschrhythmus eignen es zu einem rechten Volksgesang.
Den ersten Opernversuch im neuen Theater machte Lortzing zu seinem Benefiz am 18. Oktober 1850 mit den “Beiden Schützen”, aber das haus war so leer, dass von Lortzings Anteil nicht einmal der Vorschußrest gedeckt wurde. Im November folgte der “Wildschütz”, doch Direktor Deichmann wollte die Mittel zum Ausbau des Opernunternehmens nicht aufwenden, und so hatte es sein Bewenden. Lortzing mochte mit Recht fürchten, dass sich das Theater auf Possen und kleine Stücke beschränken und seine Tätigkeit ganz entbehrlich werden würde, und mit Schrecken sah er dem Kündigungstermin entgegen. Er sollte ihm nicht mehr erleben.
Am 20. Januar fand die Uraufführung seines letzem Opernwerkes in Frankfurt a. M. statt zum Benefiz für den Komiker Hassel. “Die vornehmen Dilettanten oder Die Opernprobe” lautete der Titel des Einakters, der nach Jüngers Lustspiel “Die Komödie aus dem Stegreif” bearbeitet war.
Hier wie dort ist die Handlung, dass der junge Baron Reinthal dem Hause seines Onkels entflieht, um einer Konvenienzheirat zu entgehen, dass er gerade in das Haus der ihm bestimmten Braut gerät und sich, weil sie ihm gefällt, nebst seinem Diener Johann in der Maske von reisenden Sängern bei dem opernfreundlichen Grafen einführt. Wie die Entdeckung die Verlobung folgt und auch der Diener und das als Kapellmeister fungierende Kammermädchen ein Paar werden, ist, bis auf die Versetzung in die musikalische Sphäre, genau dem Stück entnommen. Eine leicht-flüssige und durchsichtige Musik begleitet die Handlung der kleinen Spieloper, für die Lortzing den rechten Konversationston anzuschlagen weiß. Dagegen heben sich die antiquierten Rezitative, in denen der Graf zu seiner Dienerschaft spricht oder in denen die vermeintlichen Sänger die Opera Seria parodieren, sehr wirksam ab.
Der flotten einsätzigen Ouvertüre, die sich wieder aus Themen der Oper zusammensetzt, folgt eine vom Kammermädchen dirigierte Orchesterprobe, nicht so drastisch wie die Kantatenprobe im “Zar”, aber voll liebenswürdigen Humors. Der klassische Stil des Musikstücks versetzt sogleich in die zurückliegende Zeit und die Umwelt. Ein drolliges Duett des Dienerpaars, eine zierliche Ariette von der “Bestimmung”, ein bewegliches Sextett und das die Handlung wirksam zu Ende führende Finale sind daneben die hervorragendsten Nummern der Partitur.
Von dem freundlichen Erfolge seiner letzten Oper sollte Lortzing keine Kunde mehr erhalten. Am Abend der Aufführung kam er, schon seit einiger Zeit an Beklemmungen und Blutandrang leidend, schon früh aus dem Theater und legte sich bald zu bett. Am anderen Morgen machte ein Schlagfluß nach kurzem Todeskampfe seinem Leben ein Ende.
Auf dem Sophienkirchhofe an der Bergstraße wurde Lortzing am 24. Januar unter Beteiligung der ganzen Künstlerschaft Berlins mit reichem Ehre begraben. Ein von Meyerbeer, Dorn u.a. erlassener Aufruf, die mit 6 Kinder in Not zurückgebliebene Witwe Lortzings durch Sammlungen und Veranstaltung von Aufführungen zu unterstützen, ergab wenigstens soviel, dass sie vor Hunger geschützt war. Nach schweren Leiden starb die treue Lebensgefährtin am 13. Juni 1854.
Wie Lortzing im grabe wuchs, bezeugen außer der wachsenden Zahl der Aufführungen seiner Werke auch die ihm gewidmeten Denkmäler und Erinnerungszeichen. Zunächst war es sein Grab, das, anfangs nur durch eine einfache Porzellantafel bezeichnet, 1859 durch die Mitglieder des Braunschweiger Hoftheaters mit einem würdigen, Lortzings vom Bildhauer Dehns modelliertes Medaillonportrait tragenden Monument geschmückt wurde. Ihm wurde in neuerer Zeit der von Max Ring und Düringer stammende Spruch, der auf der Porzellantafel stand, eingemeißelt:
“Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid,
Sein Leben Kampf und Not und Neid.
Das Leid flieht diesen Friedensort,
Der Kampf ist aus, sein Lied tönt fort!”
In Münster wurde dann an seinem Wohnhause eine Gedenktafel angebracht; die Stadt Berlin folgte 1899, dann Coburg und Wien; mit Lortzings Reliefportraits wurden das Foyer des Osnabrücker und des Leipziger Stadttheaters geschmückt, und in den meisten größeren Städten Deutschland findet sich eine Lortzingstraße. 1901 wurde in Pyrmont das erste, von Jos. Uphues geschaffene Lortzing-Denkmal enthüllt, 1904 das zweite in detmold (von Rud. Hölbe), 1906 das dritte, Lortzing in ganzer Figur darstellend, von Gustav Eberlein in Berlin. Eine Gedenktafel mit Portrait wurde außerdem am 100. Geburtstage an seinem Geburtshaus angebracht. So hat die Nachwelt dankbar das Andekne des Meisters geehrt, der im Herzen des Volkes sich selbst das schönste Denkmal errichtet hat, dessen schlichte Lieder nicht verklingen werden, solange es Deutsche gibt. Prinz Emil von Schoenaich-Carolath hat ihn beim ersten Pyrmonter Lortzing-Musikfest in folgenden Versen verherrlicht:
Der Sänger schläft! Doch seiner Harfe schlag,
Sein Lebensbild, rauscht in den hellen Tag,
Zur Sonne schwang sein Genius die Leier,
Die Glut, davon des Sängers Herz geloht,
Sprengt jedes Grab und spottet jedem Tod,
Es lebt sein Geist mit uns bei dieser Feier.
So weit der Sturm durch deutsche Eichen rauscht,
So weit als Menschen Liebesschwur getauscht,
So weit ein Schwert der Freiheit zugeschwungen,
Steigt Meister Lortzings goldner Liederchor
Mit Lenzgewalt aus deutschem Herz empor,
Dem Lieb, der Luft, dem Vaterland gesungen.
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