01 – Einleitung.

Die komische Oper.

Bei der Lebensbeschreibung eines Komponisten, dessen reiche und eigenartige Schöpferkraft in so hohem Maße der heiteren Muse angehört, wie diejenige Lortzings, geziemt es sich wohl, einen orientierenden Rückblick zu werfen auf das erste Entstehen, die weitere Entwicklung der komischen Oper in Deutschland und die schließliche künstlerische Vollendung derselben durch Lortzing. Seine Erscheinung als Typus auf dem Gesamtgebiet der neueren Opernkomposition muß für uns um so größeres Interesse bieten, als seine Leistungen auf dem Gebiet der komischen Oper trotz der enormen Produktivität unserer Tage bisher noch nicht übertroffen worden sind. Bis heute hat noch keines der neueren deutschen Werke dem Czaaren seine ominierende Stellung streitig machen können und von seiner Zugkraft hat dieses herrliche Werk nach nunmehr einem halben Jahrhundert nichts eingebüßt, als den Reiz absoluter Neuheit. Manches Werk tauchte bis heute mit meteorachtigem Glanze auf, genügte mit erkünstelten Effekten der Laune und dem Witz des sinkenden Tages und blieb von der Demütigung, schon nach kurzem Dasein der vergessenheit anheimzufallen, nur dadurch verschont, daß eigentlich noch niemand recht von dem opus Notiz genommen hatte. Bei ihm war der Reiz der Neuheit eben der einzige und als dieser gleich dem zarten Flügelstaub des leichten Falters hinweggewischt war, blieb nichts übrig als eine öde Leere; das stets rege Bedürfnis nach lebenswarmer heiterer Muse gebot: ein ander Bild! – und eine weitere Eintagsfliege summte am Ohr des Publikums vorüber.

Wie ganz anders ist es dagegen mit den Kindern der Lortzingschen Muse! Daß sie gern jenes prickelnden Reizes der Neuheit entraten können, haben schon unsere Eltern und Großeltern erfahren, denn immer hat man den Czaaren, die Undine und den Waffenschmied gern wieder gehört, hat sie stets wieder freudig begrüßt als gute alte Bekannte und treue Freunde des deutschen Theaterpublikums. Es ist dies der ebenso verdiente, als natürliche Lohn, den Werke von wahrer edler Empfindung, die in dem Gemütsleben der Horenden gleichgestimmte Saiten erklingen lassen, von altersher beim Volke gefunden haben.

In einem Gesamtüberblick über die Geschichte der Oper würde die komische Oper, wie sie sich heute in ihrem Zurücktreten hinter die großen Opernwerke ernsten Genres darstellt, nur einen Teil des großen Ganzen bilden und man könnte versucht sein, diesen Teil, wenn auch immerhin als einen in seiner Berechtigung koordinierten, gesondert zu betrachten. Dies stellt sich sofort anders, wenn man die Entstehung der Oper überhaupt betrachtet.Dann erweist sich das heitere Elementals das anfängliche und ursprünglich treibende, während die Oper ernsten Inhalts, so sehr sie sich auch jener ausschließlich dominierenden Stellung namentlich in der Jetztzeit bemächtigt hat, als ein Teil in der Gesamtbetrachtung und zwar auf einem höheren Grade späterer Vervollkommnung stehend, anzusehen ist.

Gehen wir auf die ersten Anfänge musikalischen Lebens in Deutschland zurück, so sehen wir, wie in den Jahrhunderten nach der Völkerwanderung die allmähliche Klärung und Festigung der politischen, socialen und religiösen Verhältnisse einer größeren musikalischen Bethätigung weder einen günstigen Boden, noch auch die hierzu nötige Muse bot. Der Kirchengesang bewegte sich mit seinen einfachen Mitteln in den bescheidensten Formen, die Zahl der vorhandenen Instrumente war äußerst gering und die Fertigkeit, von denselben Gebrauch zu machen, nur Wenigen eigen. Zudem hatte die Volkskraft des damaligen Europa eine Kulturaufgabe von größter Tragweite zu erfüllen und ist derselben auch gerecht geworden, da, wie ein Blick auf die Karte zeigt, die Verhältnisse der Land- und Machtverteilung seit dem Anfang unseres Jahrtausends im Allgemeinen sich nicht viel geändert haben. Bedenkt man hierbei, daß erst zu Anfang des 9. Jahrhunderts das Christentum in Deutschland (also einschließlich Sachsens) Fuß zu fassen begann, daß noch im Jahre 955 ein deutscher Herzog in der Schlacht gegen die einfallenden heidnischen Mongolen das Leben verlor, so muß man zugestehen, daß bei einem solchen Schieben, Drängen und gegenseitigen Bekämpfen geistlicher und weltlicher, geisticher und materieller Einflüsse für die Entwicklung der in ihrem Wesen heiteren Muse zu wenig Raum und Zeit vorhanden sein konnte. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet ist die in verschiedenen Werken über Geschichte der Musik ausgesprochene Ansicht, als habe das Volksleben in jener Zeit erst erwachen müssen, als habe es sich erst und ausschließlich nur der geistlichen Musik zugewandt, sei aber dann, einer allgemeinen Verderbnis anheim fallend, zur weltlichen Musik übergegangen, durchaus nicht nicht einleuchtend. Das Volk als solches brauchte niemals erst geweckt zu werden; ein lebhaftes Verlangen nach heiterem Lebensgenuß war von jeher im Volk vorhanden und wenn das Volk schließlich der weltlichen Musik mehr zuneigte als früher, so lag es nicht daran, daß dasselbe dabei im Verhältnis zu früher auf einem Standpunkt moralischer Verkommenheit sich befunden hätte, sondern in der stärker hervortretenden Möglichkeit, sich überhaupt mit Musik und ähnlichen Gegenständen reiner Lebensfreude zu beschäftigen. Das kräftigere Emporleben der untersten Volksklassen, wie es die auch im Bewußtsein der höheren Stände sich allgemeiner geltend machende und veredelend wirkende christliche Lebensauffassung mit sich brachte, wies ja so unzweifelhaft auf ein zielbewußteres Bethätigen der allgemein zuerkannten Menschenrechte hin, daß der Übergang von den Gesängen christlicher Dankbarkeit zu solchen des frohen Lebensgenusses nur als eine logisch notwendige Folge erscheinen muß. Und so trat denn ein, was für die Entwicklung einer in das menschliche Leben so tief eingreifenden Kunst unerläßlich ist: das Interesse für die Kunst der Musik wurde populär! – Von dem Zeitpunkt ab, wo dies geschah, entwickelte sich die sogenannte weltliche Musik, von hier ab finden wir das Streben nach dramatischer Darstellung musikalisch-poetics her Dichtungen: hier finden wir die Wurzeln des Opernwesens.

Seitdem Ambrosius der Heilige dem Kirchengesang beim Gottesdienst einen breiteren Raum und größere Bedeutung angewiesen hatte, war die Kirchenmusik ein Gegenstand aufmerksamster Pflege geworden. Hatte so eine reichere Modulation schon in die gewöhnlichen Gottesdienste größeres Leben und vielgestaltige Abwechselung gebracht, so traten an den hohen christlichen Festen große Aufführungen religiösen Inhalts an die Stelle der früher ein einfachen Chöre. Man nannte diese dramatischen Erzählungen aus der Bibel oder der Geschichte der Heiligen Mysterien oder Mirakel, und reicht das letzte uns erhaltene Mysterium bis ins 12. Jahrhundert hinauf; es war das Mystère d’Adam, in welchem, mit Gott dem Vater, Adam und Eva als Personen, der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies beschrieben wird. Der Beifall, welchen derartige musikalisch-poetische Aufführungen fanden, regte die Darsteller zu neuen Anstrengungen an und so bildete sich bald eine ziemlich ausgeprägte Technik, die sogar schon Flugmaschinen und Versenkungen zur Verwendung brachte. Diese von der Geistlichkeit also begünstigten Darstellungen fanden sol hen Beifall, daß man derartige Spiele auch bald auf Märkten und großen Volksfesten aufführte. Das “Puiy” (vom lat. Podium), anfangs als Schauplatz nur von einzelnen Jongleurs gebraucht, wurde später auch zur Darstellung dramatischer Stoffe benützt und so finden wir gegen Ende des 13. Jahrhunderts vornehmlich drei Dichter, die mit ihren größeren Arbeiten dem Puiy von Arras angehörten. Diese waren: Rutebeuf und Jean Bodel (+ 1290), die mit Vorliebe Heiligenlegenden behandelten und Adrian (nach andern: Adam) de la Hall (+ 1288), der sich mehr weltlichen Stoffen zuwandte. Dieser letztere, aus Arras gebürtige Dichterkomponist stellt für unsere Betrachtung den Punkt dar, wo das Musikalisch-Dramatische den kirchlichen Boden verläßt und als eigenartige Kunstgattung zum erstenmal selbständig auftritt. In einer an Hans Sachs erinnernden Naiven Weise nahm de la Hall meist heitere Vorgänge des Volkslebens seiner Zeit zum Stoff und schrieb zu diesen Scenen selbst die Musik.

Von diesen Stücken, in welchen wir unzweifelhaft die ersten Operetten in unserem Sinn vor uns haben, sind folgende zu nennen: „Le jeu de la feuillée“ (Spiel der Laube), in welchem de la Hall unter Zuziehung verschiedener ganz handgreiflicher Zweideutigkeiten die Geschichte seiner eigenen Heirat behandelt; le jeu de Robin et de Marion, welches im Jahre 1285 zum erstenmal zur Erheiterung des Hofes aufgeführt wurde und le jeu du pélerin u.a.m.

Wie schon die Mysterien zu ihrer Zeit in der krassesten Weise ausgeartet waren, so stellte sich auch mit der immer größeren Verbreitung der „Puiys“ ein enormer Luxus in den äußeren Formen ein. Dies war aber vorzugsweise geschehen, seitdem nach dem Beispiel der äußerst glänzenden Vermählungsfeierlichkeiten des Herzogs Galeazzo von Mailand mit Isabella von Arragonien derartige Ausstattungsstücke (denn Text und Musik traten mehr und mehr in den Hintergrund) unerläßlicher Bestandteil aller vornehmen Hochzeiten wurden. Die ganze Mythologie des Altertums mit ihrem berückenden Zauber und ihrem kaum noch steigerungsfähigen Sinnenkitzel wurde unter Zuhilfenahme der kompliziertesten und kostspieligsten Apparate vorgeführt, um das neuvermählte Paar als selbstverständlichen Mittelpunkt dieser raffinierten Liebeskomödie ze feiern. So hatte denn ein leichtverständliches Interesse den Fürsten und dem hohen Adel, namentlich der italienischen Staaten, die Pflege dieser Singspiele nahegelegt und so finden wir im 16. Jahrhundert in Florenz den Grafen Giovanni Bardi von Bernio als kräftigen Beschützer und Förderer der Dicht- undTonkunst. Die durch die Eroberung von Konstantinopel bewirkte Übersiedelung der christlichen Künstler und Gelehrten nach Italien, hatte mit ihrem mächtigen Aufschwung geistigen Lebens auch die Nachahmung der Alten von neuem angeregt und so kultivierten zu Anfang des 16. Jahrhunderts Vincenzo Galilei (Vater des Astronomen Galileo Galilei) und insbesondere Giulio Caccini (geb. um 1560) die nuova musica, wie man in der Folge die Nachahmung der altgriechischen Musik nannte. Die meisten der in diesem Stil komponieren Werke waren für Hochzeiten oder sonstige Hoffestlichkeiten bestimmt und so erklärt es sich aus dem Zweck der Werke von selbst, daß der ihnen beigelegte Name: Tragedia per musica nur als eine äußere, ebenfalls von den Griechen herübergenommene Bezeichnung gelten konnte. Es hatte sich eben der Gebrauch eingebürgert, feierliche Stücke Tragödien, possenhafte Komödien zu nennen, unbeschadet des meist heiteren Inhalts der ersteren und da man den Namen der letzteren für so feierliche Gelegenheiten für zu gewöhnlich hielt. So wurde aus der Feder Bardis selbst zur Hochzeit des Ferdinand von Medici mit Christina von Lorena das Singspiel „der Kampf Apollos mit dem Drachen“ aufgeführt und zu der im Jahre 1600 stattfindenden Hochzeit Heinrichs VI. von Frankreich mit Maria von Medici komponierte der Florentiner Jacopo Peri zusammen mit Guilio Caccini einen von Ottavio Rinuccini gedichteten Text: Euridice. In dieser Komposition, die uns wie keine andere in jener Zeit eine erste kräftige Durchdringung der bisher immer noch mehr specifisch religiösen deutschen Musik durch den althellenischen Geist darstellt, haben wir den Übergang der kirchlichen Musik zur weltlichen vor Augen und muß also Peri infolge dieser ersten größeren Oper als der eigentliche Erfinder dieser Musikgattung bezeichnet werden.

Jetzt also erst, nachdem dem überwiegend Geistigen der Kirchenmusik eine schöne Sinnlichkeit gegenübergestellt war, nachdem in den dramatischen Gestalten auch das rein Menschliche zur Geltung sich durchgerungen hatte, jetzt erst konnte die Oper mit den durch die griechischen Studien angeregten neuen Formen des Recitativs und der Arie zu einem höheren Grad der Vollendung und zu einer festen Geschlossenheit dieses ganzen neuen Stiles heranreisen.

Diese epochemachenden Schöpfungen konnten auch dem Interesse des deutschen Publikums nicht fern bleiben und so fand sich denn ein gottbegnadeter deutscher Dichter alsbald ebenfalls durch eine fürstliche Hochzeit veranlaßt, eines jener prachtvollen italienischen Schaustücke, die „Daphne“ des Rinuccini ins Deutsche zu übertragen; es war Martin Opitz von Boberfeld (geb. 1597 zu Bunzlau, gest. 1639). Zur Hochzeit der Prinzessin Sophie Eleonore von Sachsen mit den Landgrafen Georg II. von Hessen erschien das neue Werk unter dem Titel: „An die Hochfürstlichen Braut und Bräutigam, bei deren Beilager Dafne von Heinrich Schütz im 1627. Jahre musikalisch auf den Schauplatz gebracht worden ist“. Heinrich Schütz, am 8. Oktober 1585 zu Köstritz geboren und wegen seiner hervorragenden Begabung vielfach als „Vater der deutschen Musik“ bezeichnet, war also der erste deutsche Opernkomponist und in der That führt er diesen Namen schon insofern mit Recht, als sein ganzer Studiengang ihn als ein lebendiges Bindeglied zwischen der damaligen italienischen und deutschen Musik erscheinen läßt. Muß man einerseits zugestehen, daß Schütz die neuern Formen der Italiener sich zum Vorbilde genommen und nachgeahmt hat, so darf doch auch anderseits nicht verkannt werden, daß er dieser Nachahmung nicht bedingungslos verfallen ist, daß er sich unter all den fremländischen Formen seine echt deutsche Empfindung, sowie die Innigkeit und Tiefe seines Gemüts wohl zu bewahren gewußt hat. Schütz wandte zuerst die dreiteilige Arienform, das zwei- und dreiteilige Duett, Recitativo und Soloensemble an, ließ eine reiche Chromatik an die Stelle der einfachen alten Kirchentonarten treten und stattete so seine Werke mit einem größeren harmonsichen Reiz aus, als er je bisher in Deutschland gehört worden war. Leider konnte Schütz, der mit wenigen Unterbrechungen 55 Jahre lang Kapellmeister in Dresden war, seiner gewissermaßen neuerstandenen Kunst eine weitere Verbreitung nicht verschaffen. Traten doch den Außerungen einer Kunst, die mehr als jede andere die heiterste Behaglichkeit voraussetzt, von allen Seiten die Wirren und Greuel des Dreißigjährigen Krieges hemmend in den Weg und erst lange nach dem Friedensschluß, und auch dann erst ausschließlich an den Höfen deutscher Fürsten, konnte man sich den alten liebgewonnenen Belustigungen wieder zuwenden. War von nun ab das allgemeine Augenmerk wieder unausgesetzt nach Italien gerichtet, so begannen einzelne Residenzstädte deutscher Fürsten, so insbesondere Wien, Dresden und München die Italiener in ihren eigenen Leistungen und durch dieselben zu überbieten. Komponisten, Sänger, Tänzer, Spielleute und Maschinisten, alles mußte direkt aus Italien kommen, wenn es vor den Augen eines anspruchsvollen Publikums Gnade finden sollte und nur an einigen dürftigen Zwischenspiele, die man um des Volkes willen eingeschaltet hatte, war zu erkennen, daß diese ganze Schaustellung auf deutschem Grund und Boden, vor deutschen Männern und Frauen vor sich ging.

Da war es im Norden Deutschlands eine Stadt, die, unabhängig von Fürstengunst, aus eigener bürgerlicher Volkskraft heraus sich mächtig emporgearbeitet hatte und eine weltgebietende Stellung schon seit Jahrhunderten einnahm, es war die freie Reichs- und Hansastadt Hamburg, die der deutschen Kunst im deutschen Land eine Stätte bereitete. Angeregt durch die Truppe des Direktors Johann Veltheim traten drei Männer, die Licentiaten Gerhard Schott und Lütjens, sowie der Organist der Katharinenkirche, Johann Adolph Reinicke zusammen, um den Bau eines „Theatrum“ zu betreiben und so wurde denn schon im Jahre 1678 das neue, als überaus prächtige und zweckmäßig gepriesene Haus durch die Opera „Adam und Eva“ eingeweiht. Rasch wurde das neue Unternehmen durch Männer wie Reinhard Keiser, Johann Mattheson, Georg Philipp Telemann und den großen Georg Friedrich Händel zu hohem künstlerischen Ansehen emporgeführt und so sehen wir denn, wie durch sie, trotz alles noch vorhandenen italienischen Beiwerks, die Vollendung der neuen Kunstblüte vorbereitet wird. – Gilt dies im vollsten Umfang von einer Stadt, die wie Hamburg mit den großen Mitteln einer reich begüterten Bürgerschaft arbeitete, so galt es nicht ganz in demselben Maße von den kleineren Städten, die alsbald die Hamburger Spiele nachahmen wollten. Jene von den Italienern überkommene Tendenz des äußeren Prunkes und der glänzenden Prachtentfaltung trug, wie jede Übertreibung, den Keim des Todes in sich: was den reichen Hamburgern an prächtigen Dekorationen, komplizierten Maschinen, kostspeiligen Sängern und Tänzern leicht möglich war, das war für die kleineren Städte, die auch gern derartige Schaustellungen vorführen wollten, unerschwinglich und so bereitete sich ein Umschwung vor in der ganzen Tendenz der poetisch-musikalischen Aufführungen. Die Notwendigkeit eines ausreichendn Verdienstes für die betreffenden Theaterdirektoren verbot jenes Gepränge von selbst und so trat denn, da ein Ersatz für die verloren gegangene Augen- und Sinneslust geschaffen werden mußte, an die Stelle des Schauspiels das Singspiel. Die Tyrannei der Kastraten und Primadonnen, die bereits anfingen, den Dichtern und Direktoren Vorschriften zu machen, wurde ebenfalls mit der Zeit unerträglich und so sah man sich denn genötigt, auch hier einen Ersatz eintreten zu lassen. Der Gedanke an einen solchen lag in Anbetracht der bisher gänzlich stiefmütterlich behandelten Texte nicht allzufern und so begann sich unter den bisher entweder vom Publikum mißachteten, oder von den Sängern mißhandelten Dichtern unter Vorantritt des Apostolo Zeno ein neues leben zu regen. Dieser Umschwung, welcher mit einem Male dem Komponisten und dem Dichter die längst ersehnte erste Stellung in der Oper einräumte, ist nicht sowohl höchst bedeutungsvoll für die Oper als Musikgattung überhaupt, als für die komische Oper im besonderen, ja man kann sagen, daß dieser Umschwung die specifisch komische Oper eigentlich erst gebar. Wohl haben sich ja schon lange vorher einzelne Versuche zu derselben gezeigt, wohl war ja, wie die bisherige Betrachtung gezeigt hat, die ganze Oper aus dem Bedürfnis nach Belustigung hervorgegangen, doch darf man diese auf heitere Laune und sinnliche Erregung überhaupt hinzielende Tendenz durchaus nicht verwechseln mit dem, was man heutzutage unter der komischen Oper verstehe. Seit Apostolo Zeno, der von 1718 – 29 die Stelle eines Hofdichters in Wien bekleidete, suchte man an Stelle der vergangenenen und vergänglichen Pracht Geist und Witz, Komikder Situation und des Ausdruckes, frisches Leben und heitere Komik zum Hauptgegenstand der Unterhaltung und Belustigung zu machen und gerade dieses letztere Streben erzeugte eine Richtung, deren Vertreter als die Schöpfer der komische Oper bezeichnet werden müssen. – Ehe wir jedoch diesen Erscheinungen näher treten, müssen wir erst noch eines großen Mannes Erwähnung thun, der mit starkem Geist alle Bedürfnisse nach Verbesserung erfassend und mit idealem Schwung fortführend, mit seinen reformatorischen Bestrebungen auch für die komische Oper von größter Bedeutung geworden ist. Es ist dies Christoph Willibald Ritter von Gluck. Fassen wir die Ziele, die er der Oper vorschrieb, kurz zusammen, so bedeuten dieselben auch für die komische Oper: Dramatische Wahrheit der Situation und des Ausdrucks, somit Folgerichtigkeit im Verlauf der Handlung und Schärfe der dramatischen Charakterzeichnung, mit einem Wort: Darstellung eines einheitlichen musikalisch-poetischen Kunstwerks.

Als Hauptvertreter der ersten Blütezeit der komischen Oper haben wir insbesondere drei Männer ins Auge zu fassen, Hiller, Dittersdorf und Müller, von denen der erstere ein Norddeutscher ist, die beiden letztere jedoch zu Österreich gehören, wo speciell Wien die Führerschaft in der ersten Blüte der komischen Oper übernahm.

Johann Adam Hiller, geboren am 25. Dezember 1728 in Wendisch-Ossig in Schlesien, erhielt seine Ausbildung an der durch ihre hervorragenden musikalischen Kräfte berühmten Kreuzschule in Dresden. Sein reiches Kompositionstalent mußte, da Hiller sich genötigt sah, auf die geringen Stimmmittel der damaligen Leipziger Schauspielergesellschaft Rücksicht zu nehmen, sich besonders dem Liedartigen zuwenden und so hat er denn auch gerade auf diesem Gebiete seine besten Leistungen zu verzeichnen. Von seinen komischen Opern „Die verwandelten Weiber“, „Lottchen am Hofe“, „Die Jagd“, „Die Liebe auf dem Lande“, „Der Dorfbarbier“ u.a. wurde namentlich die von Lortzing später neu bearbeitete „Jagd“ schnell zum Liebling des Volkes. Hillers Talent für das Komische ist vielfach in Zweifel gezogen worden, doch verdient dem gegenüber festgestellt zu werden, daß seine Werke einen biderben Humor niemals verleugnet und durch ihre volksmäßige treuherzige Einfachheit noch stets angesprochen haben. Hiller starb am 16. April 1804 zu Leipzig.

Als der eigentliche Schöpfer der deutschnationalen Oper steht Karl Ditters von Dittersdorf da. In Wien den 2. November 1739 geboren, zeichnete er sich schon als Knabe durch sein treffliches Violinspiel aus, so daß er schon als mit seinem 12. Lebensjahr in die Kapelle des Generalfeldzeugmeisters Prinzen Joseph Friedrich von Hildburghausen eintreten konnte. Nach einer für sein rasch aufstrebendes Talent höchst bedeutungsvollen Reise nach Italien an der Seite Glucks wurde er kapellmeister des Bischofs von Groß-Wardein und trat, als dieser seine Kapelle auflöste, zu dem Fürstbischof Grafen Schafgotsch in Beziehung, der ihm in Gestalt einer Forstmeisterstelle des Fürstentums Reisse 1770 eine auskömmliche Sinekure bot, welche ihm gestattete, alle jene herrliche Werke zu komponieren, die noch bis auf den heutigen Tag ihre Zugkraft nicht verloren haben. 1773 durch seinen Gönner in den Adelsstand erhoben, unternahm Dittersdorf, einer Einladung Friedrich Wilhelm II folgend, eine Kunstreise nach Berlin, wo er mit außerordentlichem Erfolg mehrere seiner hervorragenderen Werke zu Aufführung brachte. Nach dem Tode des Fürstbischofs, 5. Januar 1795, kam Dittersdorf in arge Bedrängnis und verdankte es schließlich der Großmut des kunstsinnigen Freiherrn Stillfried, daß er nicht in Sorge und Not umkam.Er starb auf der dem letzteren gehörigen Besitzung Rothlhotta am 24. October 1799. Dittersdorfs Hauptwerk: „Doktor und Apotheker“, den 11. Juli 1786 zum erstenmal in Wien aufgeführt, fans hier, wie überhaupt in ganz Deutschland außerordentlichen Beifall. Ähnliche Werke sind „Hieronymus Knicker“, und das „Rotkäppchen“. Wie seine Operntexte das höchste Lob verdienen, so zeichnet sich auch seine Musik durch ihren überaus anmutigen und melodischen Charakter aus und sind es namentlich seine Ensemblestücke und Finales, die seine ursprünglich komische Kraft bekunden.

Mit Dittersdorf innig befreundet und als Schüler wesentlich von ihm gefördert, ist es schließlich noch W. Müller, der auf dem komischen Gebiet unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wenzel Müller, am 26. September 1767 in Turnau (Mähren) geboren und in seine Jugendzeit durch Dittersdorf unterrichtet, bekleidete nacheinander die Kapellmeisterstellen in Brünn (1783), Wien (1786) und Prag (1808), ließ sich aber nach Verheiratung seiner als Sängerin hochbegabten und ausgezeichneten Tochter Therese 1813dauernd in Wien nieder, wo er als Kapellmeister des Leopoldstädtischen Theaters mit außerordentlicher Fruchbarkeit bis an sein am 3. August 1835 erfolgendes Ende wirkte. Müllers Hauptwerke sind: „Die Zauberzither“, „Das neue Sonntagskind“, „Die Schwestern von Prag“, „Die Teufelsmühle“ u.a. In seinen etwa 270 Liederspielen, Operetten und Zauberpossen etc befindet sich ein außerordentlicher Reichtum an herzigen und launigen Lieder (*Fußnote: Von ihm das bekannte „Wer niemals einen Rausch gehabt“), die alle durch die köstliche Natürlichkeit ihres Humors und die jovialste Laune sich auszeichnen.

Neben einem Wiener haben wir nun noch eines norddeutschen Komponisten zu gedenken. Es ist der Lehrer Beethovens in der Komposition, Johann Schenk (1753 – 1836), der, weit über die Grenzen Wiens hinaus, durch eine Reihe komischer Opern und Singspiele vielfache Anerkennung sich erworben hat; seine beide Hauptwerke: „“Die Jagd“ und „Der Dorfbarbier“ sind durch ihren sprudelnden Humor und ihren großen Melodienreichtum noch heute unvergessen. – Ein Brandenburger, Friedrich Himmel, ist es schließlich der besonders durch seine Operette „Fanchon, das Leiermädchen“ (1804) große Verbreitung und Anerkennung sich erworben hat. Seine Kompositionen zeichnen sich sämtlich namentlich das Volkslied (*Fußnote: Von ihm: „Es kann ja nicht immer so bleiben“, „An Alexis send’ ich dich“, „Vater ich rufe dich!“.)seiner Feder einige der schönste Kompositionen.

Die bisher genannten Vertreter der komischen Oper in Deutschland gehören zeitlich und ihter Ausbildung nach dem vorigen Jahrhundert an und legen von der deutschen Produktivität dieser Zeit das glänzendste Zeugnis ab. Nach diesem Abschnitt reichen Schaffens zeigt sich uns an der Wende dieses Jahrhunderts, welches durch eine Teihe der größten Geister auf dem Gebiet der Kunst, Poesie und Wissenschaft die für später heranreisende politische Größe vorbereiten half, gleichsam ein Ruhepunkt. – In einsamer Größe steht Beethovens „Fidelio“ da, ebenfalls anfangs wenig beachtet infolge der durch den korfischen Eroberer hervorgerufenen Wirren und so bedurfte es um so mehr noch für die heitere Muse erst der Niederwerfung dieser Geißel des gesamten europäischen Kontinents, ehe sie jenen Liebling gebar, der mit seinen entzückenden Werken das neue Jahrhundert erfüllen, bezaubern sollte: Albert Lortzing.

02 – Gustav Albert Lortzing – Die Jugend- und erste Schaffenszeit.