04 – Gustav Albert Lortzing – Die Schatzkammer des Inka, Caramo, Hans Sachs, Casanova, Wildschütz.

Die Schatzkammer des Inka, Caramo, Hans Sachs, Casanova, Wildschütz.

Die Höhe, zu welcher die Erfolge des “Czaaren” Lortzing emporgehoben hatten, sowie seine hierdurch gesteigerte Schaffenskraft und Schaffenslust trieben ihn zu neuen Werken. Mit unermüdlichen Fleiß arbeitete er; Ruhe und Erholung mußten ihm fernbleiben, somit aber auch – die rechte Muse. War es schon an sich schwer, passende Opernbücher zu finden, so ließ ihn sein durch die Hast der ungestümen Arbeit getrübter Blick zunächst zu Büchern greifen, die sich zu Oper nur sehr wenig eigneten.

Nach Vollendung seines nach der Robert Blumschen Dichtung komponierten zwölften Bühnenmusikwerkes, der Oper “Die Schatzkammer des Inka”, 1838, erkannte Lortzing selbst den begangenen Mißgriff, legte das Werk, ohne es der Öffentlichkeit übergeben zu haben, beiseite und hat es wohl später ganz vernichtet.In seinen Nachlaß findet sich weder Buch noch Partitur. Nur ein Marsch ist erhalten geblieben.

Ebenfalls für weitere Kreise wenig Interesse bietend war das am 20. September 1839 zum erstenmal in Leipzig aufgeführte dreizehnte Bühnenmusikwerk, “Caramo, oder das Fischerstechen,” komische Oper in drei Aufzügen nach Saint-Hilaire und Duport. Das Buch war hier der Lokalität und specifisch Leipziger Lokalgebräuchen angepaßt und so blieb auch dieses Werk nach einer kleineren Reihe von Vorstellungen unbeachtet, kam nicht über Leipzig hinaus, obgleich Lortzing selbst das witzig bearbeitete Buch und die Musik desselben zu seinen besten Schöpfungen zählte. Kleinere Tonbilder aus dieser Oper kehren in späteren Werken Lortzings, in “Wildschütz,” “Waffenschmied,” “Undine” und “Opernprobe” wieder.

Mit der Idee seiner nächsten Oper, “Hans Sachs,” hatte sich Lortzing schon längere Zeit herumgetragen. Als im Jahre 1828 und 1829 das von dem als Theaterschriftsteller bekannten österreichischen Regierungsrat Deinhardstein verfaßte.von Goethe mit einem Prolog eingeleitete und mit ungeheurem Jubel aufgenommene Lustspiel “Hans Sachs” seinen Weg über fast alle deutschen Bühnen machte, schrieb Lortzing, der selbst in dem Stück mit thätig war, von Osnabrück aus unterm 2. Juni 1828 an seine Eltern: “Hans Sachs” hat hier außerordentlich gefallen, es ist eine der besten neuen Produktionen, welche die Neuzeit hervorgebracht hat”. [*Note: Zu welchem Enthusiasmus das Stück das Publikum hinriß, ersehen wir aus einer anderen Mitteilung Lortzings an seine Eltern; unterm 1. März 1828 schreibt er da: “Ein Herr Schulz, der aus Hamburg kam und mir Grüße von Jost überbrachte, hat mir erzählt, daß dem dortigen Schauspieler Jacobi (welcher den Hans Sachs spielte), von der Hamburger Schuhmacherzunft ein Diplom erteilt worden ist, welches ihm und seinen Kindern und Kindeskindern so lange sie leben frei Schuh und Stiefel zusichert; dem guten Jacobi wird dies sehr angenehm sein, denn er hat eine bedeutende Familie.”]

Da nun der Komponist durch seine beiden letzten Opernbücher so schwer enttäuscht worden war, richtete er natürlich jetzt den Blick auf ein Sujet, welches sich womöglich des Interesses der weitesten Kreise bemächtigen könnte. Er griff die Idee einer Oper “Hans Sachs,” die ihn schon zur Zeit der Deinhardsteinschen Triumphe beschäftigt hatte, von neuem auf und bestimmte das neue Werk zur Verherrlichung der vierten Säkularfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst. Die Oper war im Grunde eine Gelegenheitsarbeit. Das Buch verfaßte der Hauptsache nach Freund Reger, einige komische Piecen gab Lortzing dazu, während das Strophenlied im zweiten Aufzug mit dem Refrain “Der Liebe Glück, das Vaterland,” sowie das letzte Finale von Düringer gedichtet sind.

Die Uraufführung von Lortzings vierzehnten Bühnenmusikwerk, der Oper “Hans Sachs” fand den 23. Juni 1840 in Leipzig als Festvorstellung vor einem vorzüglich gestimmten und sehr beifallslustigen Publikum statt. Der begeisterte Beifall, mit dem die Oper hier aufgenimmen wurde, schien ihr eine bessere Zukunft vorzeichnen zu wollen, als sie dem “Caramo”beschieden war, und wirklich wurde sie auf einer Reihe von größeren Bühnen, so z.B. In vorzüglicher Besetzung auch auf dem Berliner Hoftheater, aufgeführt. Eigentliches Repertoirestück ist sie aber niemals geworden, da vollendetere Schöpfungen des fruchtbaren Komponisten die Aufmerksamkeit des Publikumns in Anspruch nahmen. Wenn auch das Mißverhältnis zwischen Buch und Musik hier nicht so grell ist, wie es beim “Inka” und “Caramo” der Fall war, so sind doch auch hier wieder die Vorzüge der Musik, welche sich in einzelnen Stücken bis zum Besten steigert, was Lortzing überhaupt geschrieben hat, denen des Buches weit überlegen. Ein gutes Buch hätte die Oper gerettet, deren musikalischer Wert unbedingt über dem “Waffenschmied” steht. Eine wohlthuende Frische des musikalischen Kolorits ergreift auch hier den Hörer mit innigem Behagen und bei all seiner gelungenen Jovialität versteht es auch hier der Komponist immer wieder, durch seine wahren Äußerungen warmen Gemütslebens, durch die erquickende Herzlichkeit der lyrischen Empfindung die Hörer zu fesseln. In den beiden Schusterliedern Nr.1 und 11 hat er sowohl was die Dichtung, als auch was die Musik betrifft, den rechten echten Volkston getroffen; von vorzüglicher Wirkung ist die Scene und Arie des “Hans Sachs” Nr. 2, wie auch das Terzett Nr. 3, das Quartett Nr. 5, Arie und Duett Nr.15, sowie das Ensemble Nr. 16 von einer geschickten Handhabung der musikalischen Mittel und großer Hingabe an seine Aufgabe Zeugnis ablegen.

Ein Vergleich mit Richard Wagners “Meistersingern” drängt sich von selbst auf und kann nicht von der Hand gewiesen werden. Wenn nun auch beide Opernwerke, grundverschieden in ihrer Wesenheit, nicht zu begleichen sind, wenn auch Wagner mit seiner Oper Lortzings “Hans Sachs” vollständig verdrängt hat, so berührt es die Empfindung doch freudig, daß in den letzten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts Wagner und Lortzing diejenigen Komponisten sind, die durch zahllose Aufführungen ihrer Werke am häufigsten nebeneinander auf den deutschen Spielplänen erscheinen. Und weiter befriedigt es, daß man neuerdings an der Berliner Hofoper bei festlichen Anlässen gern Opern von Lortzing wählte.

Seiner nächsten Oper legte Lortzing das von Carl August Lebrun aus dem Französischen übersetzte Lustspiel “Casanova im Fort von St. André” zu Grunde. Nach dem glücklichen Griff, den er mit dem “Czaaren” gethan, waren doch auch ihm, wie wir in den letzten Fällen gesehen haben, traurige Erfahrungen bei der Abfassung der Opernbücher nicht erspart geblieben. Trotz d großen Mühe, die er sich bei d Zurechtlegung derselben gab – er gestaltete das Buch fast ganz neu – mußte er sich doch immer wieder von den hiermit verknüpften großen Schwierigkeiten überzeugen und so war denn auch sein “Casanova” wieder zu breit angelegt, der Dialog hatte etwas Gespreiztes und dem Ganzen fehlte die nötige Abrundung. Der von Lachner citierte und von demselben bestrittene Vorwurf, daß Lortzing nur die Zeichnung von Philistern und Pedanten getroffen habe, hat, wie man an seinen “Casanova” bemerken kann, gleichwohl ein Körnchen Wahrheit, insofern nämlich, als seiner Fähigkeit der Charakterisierung gewisse Grenzen gezogen waren. Lortzings Element war das frisch pulsierende Volksleben und die Gestalten die ihm angehörten, Sind noch immer von dem Meister mit seiner Beobachtung und richtigem Takt gezeichnet worden. In seiner genannten Oper waren es namentlich die Gestalten des “Casanova” und der “Rosaura,” zweier Personen von Rang und Stand, deren ganzes Wesen seinem Empfinden ferner lag und deren Partien – wenn sie auch den vortrefflichen Musiker wohl erkennen lassen – dennoch nicht von jenem waren Pulsschlag belebt sind, wie die Hauptgestalten seiner übrigen Oper fast ausnahmslos. I’m allgemeinen aber und namentlich bezüglich der vortrefflich gezeichneten Bettina, wie des Kerkermeisters Rocco, verleugnet sich auch hier in der Musik die Meisterhand Lortzings nicht. Sie ist dem “Caramo” nahe verwandt und verrät überall die Reife und Sicherheit des Komponisten. Der Hauptgrund, weshalb auch dieser Oper ein dauernder Erfolg versagt blieb, war aber der, daß es unsern deutschen Opernbühnen von jeher an ausreichenden Kräften für die Spieloper mantelet. “Casanova” fällt mit dem Sänger der Titelrolle, der in Keckheit, Leichtsinn, und Mutwillen zugleich ein vortrefflicher Darsteller sein muß. Im Ritterkleid fühlt sich der Deutsche wohler, dasher auch die größere Leichtigkeit, mit der sich Kräfte für Richard Wagners Gestalten finden.

Die Freude der schließlichen Vollendung seines fünfzehnten Bühnenmusikwerks, der Oper “Casanova” wie der gelungenen Uraufführung am 31. Dezember 1841 zu Leipzig wurde ihm jedoch durch einen herben Schmerz vergällt.

Am 2. Dezember 1841 starb plötzlich Lortzings Vater. Es war dies das schwerste Leid, das ihn in seinem bisherigen Leben betroffen, und in der That: nie hatte ein Sohn einen liebevolleren Vater und nie hatte ein in seiner Liebe opferfreudiger Vater einen dankbareren und pietätvolleren Sohn. Von der Herzlichkeit des Verhältnisses Lortzings zu seinen Eltern giebt den beredtesten Beweis jener vorerwähnte Briefwechsel mit denselben, welcher die Jahre 1826 – 35 umfaßt. Wenn derselbe einerseits manchen tiefen Einblick gewährt in die Werkstätte seines schaffenden Geistes, so offenbart er noch weit mehr das treue Herz eines Sohnes, der seine Eltern über alles liebt. Was die Wertschätzungdes hier bezeugten kindlichen Gemüts Lortzings bedeutend erhöht, ist der Umstand, daß jene Äußerungen desselben gerade aus einer Zeit stammen, in der die Ansprüche des Lebens oft mit recht schweren Forderungen an die kleinen Einkünfte des Sohnes wie der Eltern herantraten. Gleichwohl fanden sich dann aber immer noch einige ersparte Thaler zu einer kleinen Geburtstagsüberraschung, die dann immer von einem Briefe voll der innigsten Segenswünsche begleitet war. Riß dann wirklich einmal der Faden, so teilte der dankbare Sohn gern sein letztes mit denen, von denen er ja alles hatte. So schreibt er unterm 4. April 1832 nach Köln an seine Eltern, die ihm auf eine an sie ergangene Einladung, während der Ferien nach Detmold zu ihm zu kommen, die Gründe auseinandergesetzt hatten, weshalb sie dieselbe nicht annehmen könnten, folgendes: “Was den in Rede stehenden Vorschuß betrifft, dessen du erwähnst, liebe Mutter, so bedarf dies gar keiner Erinnerung; können wir, was ich mein nennen kann, auch nicht beisammen miteinander teilen, so wird es doch jedenfalls geschehen, wenn wir uns fern sind; denn der Gedanke, es könne meinen guten Eltern nur im geringsten etwas mangeln, könnte mir dreißigjährigem Kerl Thränen auspressen.” Solche Worten entsprachen seine Thaten; er war seinen Eltern ein guter Sohn.

Ein Töchterchen Marie, welches ihm sein Weib den 23. Februar 1841 geschenkt hatte, begrub er einige Monate später und hätte dabei beinahe das Leben verloren. Auf seinem eiligen Gang nach einem Geburtshelfer erkältete er sich derart, daß er besorgniserregend krank wurde.

Die Musik zu einem Festspiel von Hermann Smidt, dem Verfasser der “Devrient-Novellen”: “Uranias Festmorgen”, welches als seine sechzehnte Bühnenarbeit den 29. August 1842 zur Feier des fünfzigjährigen Stiftungsfestes der Liebhaberbühne “Urania” auf diesem Vereinstheater in Berlin zur Uraufführung kam, war eine Gelegenheitsarbeit ohne hervorragenden Wert. Die Musik ist in ihren vierzehn die Handlung begleitenden Nummern der Hauptsache nach Original.

Um sich von quälender Gicht zu befreien, besuchte er in demselben Sommer (1842) den Kurort Meinberg, und erfreute bei dieser Gelegenheit seine Freunde durch ein Gastspiel in Pyrmont.

Es lag in der Natur der die verschiedensten Aufgaben in sich vereinigenden Stellung Lortzings, daß die in rascher Folge sich drängenden Sorgen des Tages den Schmerz um jüngst erlittene Verluste selbst im Innern dieses guten Sohnes zurückdrängen mußten. Ein neues Buch mußte in Bearbeitung genommen werden. Das 1815 erschienene Kotzebuesche* Lustspiel “Der Rehbock” oder “Die schuldlosen Schuldbewußten” sollte den Stoff liefern.


*Friedrich August Ferdinand von Kotzebue, geb. am 3. Mai 1761 zu Weimar, ermordet am 23. März 1819 durch den schwärmerischen Studenten Karl Sand, mehr berüchtigt als berühmt durch seine politische, wie schriftstellerische Thätigkeit.

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