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In die Verablassungszeit dieses Buches,
Der Wildschütz
genannten, fiel ein Ereignis, welches dem Werke einen tendenziösen Beigeschmack geben sollte. Zum Benefiz der Leipziger Theaterpensionsanstalt wurde am 5. März 1842 die “Antigone” von Sophokles mit der herrlichen Musik von dem Königl. Preußischen Kapellmeister Felix Mendelssohn-Bartholdy unter dessen eigener Leitung aufgeführt. Die gerechte Begeisterung, mit welcher die überaus schöne Musik aufgenommen wurde, gab jenen Größen, die sich bei derartigen Gelegenheiten immer a la bourgeois gentilhomme mit ihrer “Sachkenntnis” breit zu machen pflegen, Veranlassung, ihre in den verwegensten Superlativen sich bewegenden angemaßten Urteile ihren Mithörern und Mitmenschen zum besten zu geben. Dieser Hyper-enthusiasmus, der auch heute noch ohne seine Voraussetzungen wirkt, war es, den Lortzing in seinem “Wildschütz” zum Gegenstand der Lächerlichkeit machte.
Die Oper, das siebzehnte Bühnenmusikwerk Lortzings, wurde bei ihrer Uraufführung, am 31. Dezember 1842, mit großem Beifall aufgenommen und machte trotz jener erwähnten mehr lokalen Beziehungen, ihren Weg über alle deutschen Bühnen. In den ersten Jahren wirkliches Repertoirestück des deutschen Theaters, trat sie im Laufe der Zeit ein wenig zurück, um nur hier und da noch einmal den volkstümlichen Opern Lortzings den Rang streitig zu machen. Jener Mangel an Popularität war auf beiden Seiten bemerkbar, auf derjenigen der Künstler und auf der des deutschen Publikums und hatte bei den ersteren seinen Grund in den großen Schwierigkeiten, welche die Aufführung dieser “Spieloper” den Darstellern bot. Jene von Lortzing selbst so oft vermißte Leichtigkeit des Spiels, welche bei den Darstellern der Hauptpartien wie schon beim “Casanova” erwähnt, gelich große gesangliche, wie schauspielerische Fähigkeiten voraussetzte und die gerade dem Komponisten selbst in so hohem Maße zur Verfügung stand, ging den meisten Künstlern ab und so wurde, was auf der einen Seite als ein großer Vorzug gelten mußte – daß nämlich das neue Werk eine der besten Spielopern sei – auf der andern, der ausführenden Seite zum Nachteil, oder besser gesagt: zum Hindernis, ganz wie beim “Casanova”. Der Grund, weshalb die Oper beim deutschen Publikum nicht recht volkstümlich zu werden vermochte, lag in dem dem Buche zu Grund gelegten Kotzebueschen Lustspiel. Dieser Schriftsteller, dessen Charakter als Dichter wie als ensch von jeher gekennzeichnet zu werden pflegte durch die Aufführung der guten Eigenschaften, welche er nicht besaß, zeigte in seinen Bühnenwerken – soweit es die Erzeugung und Verkettung dramatischer Situationen betrifft – große Geschicklichkeit; jedoch betreffs der Personen,seiner Helden und Heldinnen, waren seine Fähigkeiten mit ihm selbst begrenzt: Charaktere konnte Kotzebue in seinen Stücken nicht schaffen. Die Komik führte ein Schmarotzerleben auf dem Boden der Sittlichkeit und wenn z.B. Neuere französische Produkt vor deutschem Publikum nur möglich geworden sind infolge jener seinen Beziehungen, auf die vielfach in das öffentliche Interesse sich hereindrängenden socialpolitischen Fragen, so mußte das gänzliche Fehlen solcher geistiger Beziehungen die Kotzebueschen Arbeiten herabdrücken unter das Niveau unseres gesunden bürgerlichen Geisteslebens. Hat es zwar nun Lortzing auch in seiner Bearbeitung verstanden, diese Seite mehr zurückzudrängen, so ist doch noch ein gut Stück Kotzebuescher Frivolität zurückgeblieben, welche eben – vergleiche die Billardscene – von deutschen Publikum zumeist und mit Recht zurückgewiesen worden ist. Eine nie versagende heitere Bühnenwirkung sichert dem “Wildschütz” aber dennoch einen festen Platz unter Lortzings fünf Hauptopern auf den deutschen Spielplänen, wenn auch die Zahl der Aufführungen hinter denen der andern Opern Lortzings zurücksteht.
Die Musik, welche nächst dem “Czaaren” als das beste gilt, was der Komponist geschrieben hat, findet ihren Höhepunkt in den herrlichen Liedern, wie in den trefflich disponierten Ensemblestücken. Wenn die größeren Stücke geschlossener Form, Arien, Duette etc. dem strengen Kontrapunktisten auch mancherlei Anlaß zu Ausstellungen geben, so hat sich doch Lortzing durch die Innigkeit, Frische und ungezwungene Heiterkeit seiner Musik ein Recht erworben, von solchem Tadel, der meist nur die Form trifft und den inneren Wert unberührt läßt, verschont zu bleiben. Die Arie Nr. 3 “Auf des Lebens raschen Wogen”, das frische Chorlied Nr. 5 “Seht dort den muntern Jäger”, sowie das Lied im Finale Nr. 6 “Bin ein schlichtes Kind vom Lande”, gehören zu seinen glücklichen Erfindungen. Seine Fähigkeit, ein stilgerechtes, lückenloses und wirksam sich steigerndes Finale zu schreiben, zeigt Lortzing im ersten und letzten Aufzug und müssen diese beiden Stücke als Meisterwerke in dieser Art bezeichnet werden. Lotzings liebenswürdige Komik und Frische zeichnen auch diese Werk aus und wird es um der Musik willen niemals der Vergessenheit anheim fallen.
Es war lange unbekannt, daß Lortzing später zum zweiten Aufzug der Oper und zwar für den Part des Barons eine Einlage: “Jokast! Theben und Ödip!” komponiert hat. Zu welchem Zweck dies bei der ausreichenden Länge der Oper geschah, ließ sich nicht ermitteln.
Eine Übersetzung ins Französische “Le Braconnier” ist imn Klavierauszug zu Paris bei Meissonier erschienen.
Werfen wir einen Blick auf die nächsten Lebensjahre und Schicksale Lortzings, so ergreift es uns mit Wehmut, sehen zu müssen, wie gerade in der kurzen Spanne Zeit, welche den Glückstern des Komponisten am höchsten am Himmel des Ruhmes und der Ehre erglänzen sah, unmerklich auch die Vorbedingungen zum Niedergange desselben sich einstellten. Der erste Vorbote war die schon im Jahre 1842 erfolgende Erklärung des Direktor Ringelhardt an Lortzing, daß er, da ihm der Magistrat den Kontrakt gekündigt habe, nach der Ostermesse 1844 die Direktion des Stadttheaters niederlegen werde. Hatte diese Ankündigung schon die von Lortzing außerordentlich schwer empundene Trennung von seinen beiden Freunden Düringer und Reger zur Folge, so blieb gleichwohl das Glück unserem nun in Leipzig allein zurückbleibenden Komponisten noch treu, wie es denn ihm und den Seinigen stets hold gewesen war, so lange sie mit dem überaus tüchtigen Direktor Ringelhardt in Beziehung standen.
Um jene Zeit, im Januar 1843 mag Lortzing durch den Tod Fouqués, wieder an die “Undine” erinnert worden sein.
Es war ein trauriger Moment, as Düringer Mitte Mai 1843 vor seinem Weggang nach Mannheim von seinem am kalten Fieber daniederliegenden Freund Lortzing Abschied nahm und als genau ein Jahr später auch Reger mit seiner Familie abreiste, schrieb Lortzing an Düringer: “Abermals ein Stück meines Herzens dahin! Heute Morgen reiste Philipp mit seiner Familie ab nach Frankfurt.” Doch so schmerzlich der Abschied war, so freudvoll sollte das ein Jahr später erfolgende, wohl von keinem der drei Freunde geahnte Wiedersehen sein.
Düringer und Reger waren auch in der Ferne für den Freund thätig und so kam für das nächste Jahr eine Gastspielreise zustande, welche Lortzing am 24. Juni 1844 über Frankfurt a.M. Nach Mannheim antrat. Am 1. Juli 1844 traf Lortzing in Mannheim ein und schon am 3. Juli 1844 erfolgte die Aufführung des “Czaaren” unter eigener Direktion des Komponisten. Der Erfolg war ein außerordentlicher, so daß Lortzing am 4. Juli 1844 an Reger nach Frankfurt schrieb: “Gestern war mein Ehrentag. Er war glänzend. Schon in der Probe wurde ich vom Orchester, nachdem ich ihm vorgestellt, mit lautem Applaus empfangen; desgelichen gestern Abend bei meinem Eintritt vom sehr zahlreichen Publikum. Der Beifall war nach jeder Nummer und jedem Aktschluß außerordentlich. Schließlich herausrufung. Ich hielt eine Rede und wäre beinahe vor Verwunderung über mich, daß ich nicht stecken blieb, stecken geblieben. Ich war mit mir zufrieden. Alle benahmen sich sehr liebevoll gegen mich, auch der Kapellmeister Lachner; er empfing mich gleich mit Düringer am Dampfschiff.” Nachdem Lortzing so vom Publikum, der Theaterverwaltung, den Sängernund dem Orchesterpersonal mit Ehren überschüttet worden war, entzog er sich dem lauten Treiben, auf einige Tage, um mit seinem Freunde eine kleine Vergnügungstour zu machen, über welche Düringer nach Lortzings Tode in wehmütigem Erinnern schrieb: “Am 8. Juli reisten wir zusammen nach Baden-Baden. Hatte ihn die schöne Natur in Heidelberg schon außerordentlich erhoben, so war er von dem reizenden Baden in wahres Entzücken versetzt, und ich werde die wenigen Tage, die mir vergönnt waren, mit ihm dort zu verleben, nie vergessen. Am frühen Morgen des 9. Juli gingen wir zusammen auf die alte Burg (Hohenbaden), begünstigt vom schönsten Wetter. Als wir stumm bewegt allein und ungestört die Mauerzinnen der Ruine erreicht, überraschten uns die zauberischen Töne einer Äolsharfe, welche in einer hohlen Fensteröffnung angebracht war; wir blieben stehen, den Tönen zu lauschen, begleitet von den Waldvögelein, und ich sagte: ‘Ein Willkommen für dich!’ Wir waren beide so ergriffen, daß wir nicht zu reden vermochten. In der Lichtenthaler Vorstadt suchten und fanden wir ein kleines ärmliches Häuschen, in welchem Lortzing als Knabe mit seinen Eltern einmal kurze Zeit gewohnt, unter dessen Haustür er mit Tränen in den Augen von den damaligenVerhältnissen seiner Eltern erzählte und der Liebe seines verstorbenen Vaters mit kindlicher Rührung gedachte. Leider konnten wir unseren Aufenthalt in diesem Paradiese nur auf zwei Tage ausdehnen, an welche Lortzing, so lange er lebte, mit wahrem Entzücken sich erinnerte.” – Nach ihrer Rückkehr erhielt Düringer von seiner vorgesetzen Behörde den Autrag, dem Komponisten Albert Lortzing ein Andenken zu überreichen, bestehend in einem Taktierstab von Palisanderholz mit silbernem, reichverziertem Griff und einem großen Rheinkiesel in der Spitze. Das Begleitschreiben des großherzoglich badischen Hoftheaterkomitees lautete: “Wir erlauben uns, Ihnen hiermit ein kleines Erinnerungszeichen an den 3. Juli d.J. Zu überreichen, dem Tage an welchem Sie dem Mannheimer Publikum Gelegenheit gegeben, seinen Dank für Ihre schönen musikalischen Schöpfungen, sowie seine Liebe für den Meister laut auszusprechen. Unser unbedeutendes Geschenk wird Bedeutung und Wert in Ihren Händen erst empfangen, so oft Sie es gebrauchen. Denken Sie an den Rhein und Ihre zahlreiche Verehrer in Mannheim.”
Nachdem ihm das Sängerpersonal des Hoftheaters noch ein Abendständchen gebracht hatte, reiste er am 13. Juli nach Frankfurt a.M. ab. Auch hier erzielte er – und zwar mit seinem “Wildschützen” – einen, wie er selbst sagt, gloriosen Erfolg, der für ihn um so wertvoller war, als der ihm gezollte Beifall nicht nur vom Laienpublikum ausging, sondern von den gesamten Kennern und Fachgenossen.
So endete diese Gastspielreise mit nie gesehenen Triumphen; sie erhob den Komponisten auf den Gipfel seines Glückes, indem sie ihm diejenige Anerkennung zollte, die er sich durch seine freudespendenden Werke um das deutsche Volk verdient hatte; und bot sie ihm so auf der einen Seite eine glänzende Genugthuung, so wurde sie ihm andrerseits ein Born froher Erinnerungen und somit eine Quelle seines in allen Lebenslagen sorgenbrechenden Humors, der ihm in schweren Tagen stets ein treuer Begleiter war und ihn erst mit seinem letzten Atemzug verließ.
Mit brennender Sehnsucht nach den lieben Seinen im Herzen, kehrte Lortzing nach vierwöchentlicher Abwesenheit wieder nach Leipzig zurück. War es doch noch ein anderes, weit höher gespanntes Hoffen, welches seinen Lauf beschleunigte, ein Hoffen, das als ein goldener Jugendtraum durch die reiferen Mannesjahre ihn begleitet hatte und dessen Erfüllung er sich jetzt, nach einer so ruhmreichen letzten Vergangenheit so nahe sah. Schon seit langem war es sein sehnlicher Wunsch gewesen, seine schauspielerischen Obliegenheiten abstreifen und sich ganz seiner geliebten Musik und zwar als Kapellmeister widmen zu können.
Am 1. August 1844 begann sein Engagement als solcher unter dem an Ringelhardts Stelle getretenen Direktor Schmidt, der am 10. August 1844 seine Direktion mit “Don Carlos” eröffnet hatte. Emporgehoben durch den Beifall des gesamten deutschen Volkes, getragen von der Teilnahme seiner Freunde, sowie von schier unüberwindlicher Schaffenskraft und einem unwiderstehlichen Tatendrang blickte er freudeschlagenden Herzens vor sich in die Zukunft, nicht ahnend, daß es nach diesem letzten Schritt zur Erreichung des Zieles mit ihm abwärts gehen sollte auf der Stufenleiter des Glücks.
Direktor Schmidt, der bei gänzlich mangelnder Erfahrung in der Führung der Direktionsgeschäfte keine Kosten scheute, um dem Publikum etwas durchaus Glänzendes zu bietn, eroberte sich im Sturm die Sympathien der Leipziger; und da zudem Lortzing selbst schon sich großer Beliebtheit erfreute, so konnte es nicht fehlen, daß er sich im ersten Anfang auf seinem Kapellmeisterposten sehr wohl fühlte. “Erste Oper” – so schrieb Lortzing unterm 20. August 1844 an Düringer – “war ‘Don Juan’, mein Debüt. Ich weihte in der Vorstellung meinen Taktierstock ein, legte ihn jedoch nach der Introduktion wieder ins Futteral, weil er mir zu schwer wurde und ich dadurch einen Einfluß auf die Tempi befürchtete. Gesehen hat ihn die Welt, schwingen in der ‘Don-Juan-Ouverture,’ was will ich mehr?” – Hoffnungsfreudigen Sinnes schaute er in die Zukunft und verwandte in dieser günstigen Stimmung alle Zeit und Kraft zur Vollendung seiner
Undine.
06 – Gustav Albert Lortzing – Undine ›