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Hatten sich auf dem Gebiet der inneren Politik die aufgeregten Gemüter durch die gemachten Zugeständnisse bald beruhigt, so nahm der Krieg Österreichs gegen Sardinien, durch welchen das lombardisch-venetianische Königsreich den Österreichern von neuem unterworfen wurde, das öffentliche Interesse wieder in so hohem Grade in Anspruch, daß nach der obendrein noch matten “Regina” mit ihren politischen Tendenzen bald niemand mehr fragte: die Oper kam in ihrer damaligen Fassung gar nicht zur Aufführung. Nach einer vollständigen Umarbeitung wurde sie, lange nach Lortzings Tode, den 21. März 1899 zum erstenmal an der Berliner Hofoper gegeben.
Da jedoch neue Unruhen, namentlich der große ungarische Aufstand 1848-49, der gegen die Suprematie Wiens sich auflehnte, ein ersprießliches Wirken für die nächsten Jahre gänzlich unmöglich zu machen schien, so sah sich Lortzing immer eifriger nach einem Posten um und so sehen wir ihn im April 1849 wieder in Leipzig. Die dortige neue Direktion Wirsing hatte ihn nach Dr. Schmidts Schiffbruch mit Aussicht auf Engagement eingeladen, sein Werk, “Die Rolandsknappen,” welches er am 14. März 1849 beendet hatte, selbst in Leipzig einzustudieren und zu dirigieren.
Dieses Werk ruft als letzte größere Oper Lortzings das Interesse um so mehr hervor, als es, gleichsam eine Schwesteroper der “Undine,” uns des Komponisten künstlerische Schaffenkraft in einem letzten energischen Aufleuchten erkennen läßt. Und es bedurfte einer besonderen Anstrengung, denn von allen Seiten zeigten sich schon neue lebenskräftigere Erscheinungen, die nur zu sehr das Interesse von dem jüngsten Kindlein der Lortzingschen Muse abzulenken geeignet waren. Fremde Meister hatten mit der “Stummen” (1828) von Auber und mit dem durch großartige Charakterzeichnung und graziös-blühende Melodik gleich ausgezeichneten “Wilhelm Tell” (1829) von Rossini ihren Einzug auf deutschen Bühnen gehalten. Halévy errang sich mit seinen durch melodische Frische und hohe dramatische Kraft hervorragenden Opern “Die Jüdin” (1835) und “Das Thal von Andorra” (1848) im Sturme die Sympathien des Publikums in ganz Europa. Meyerbeer hatte durch seine 1831 erschienene Oper “Robert der Teufel” das öffentliche Interesse von der die Gemüter zunächst allgemein beherrschenden Politik und geschichtlichen Entwickelung mehr auf die tiefere Poesie und die waltenden Mächte der Natur und des lebens gelenkt; die 1836 folgenden “Hugenotten” griffen wieder die religiösen und politischen Interessen des Volkes auf und der 1849 erschienene “Prophet,” dessen enthusiastische Aufnahme einer Steigerung kaum mehr fähig schien, machte, jene ersten mit sich reißen, in kurzer Zeit einen Siegeslauf über die Bühnene der ganzen civilisierten Welt. Richard Wagner, welcher in seinem 1842 erschienenen “Rienzi” den großen, glänzenden, feurigen und effektvollen Stil Aubers, Halévys und Meyerbeers noch durch die Kraft und Wucht seines musikalischen Ausdrucks, wie durch raffinierte Verwendung aller dramatischen und musikalischen Hilfsmittel übertraf, warf mit seinen anfänglich noch nicht verstandenen Opern “Tannhäuser” (1845) und “Lohengrin” (1848) der herrschenden Kunstrichtung den Fehdehandschuh hin und schickte sich an, der deutschen Kunst den ersten Platz im “europäischen Konzert” zu sichern.
Die bedeutendste und direkteste Konkurrenz jedoch erfuhr Lortzings neues Werk durch die 1849 erschienene Oper “Die lustigen Weiber von Windsor,” die anfangs mit stiller Bescheidenheit hervortrat, seitdem aber einen ehrenvollen Platz auf dem deutschen Repertoire einnimmt bis auf unsere Tage, wo die “Rolandsknappen” schon längst zu den abgethanen Sachen gerechnet werden. So mußte es sich Lortzing mit seiner neuen Oper, trotzdem dieselbe einstudiert war und zur Aufführung fertig dastand, gefallen lassen, daß dem Halévyschen Werk “Das Thal von Andorra” der Vorzug gegeben wurde und der an sich schon mit Mitteln durchaus nicht reichlich versehene Komponist mußte eine vierwöchentliche Wartezeit durchmachen. Diese Zeit ließ jedoch Lortzing nicht ungenutzt verstreichen, um so weniger, als politische und sonstige Verhältnisse ihm manche verlockende Perspektive eröffnet hatten. – Der seit 1842 in Dresden angestellte königliche Kapellmeister Richard Wagner hatte sich von der bewegung des “tollen jahres” 1848 noch frei zu halten gewußt; die immer gewaltiger um sich greifende politische Strömung riß ihn jedoch 1849 mit in ihren Strudel, aus dem er sich, nachdem der Maiauffstand durch preußische Waffen niedergeworfen worden war, nur durch die Flucht retten konnte, so daß seine Stelle Ende Mai 1849 frei ward. Zur selben Zeit starb in Berlin der königliche Hofkapellmeister O. Nicolai. Derselbe, vorher Kapellmeister der Wiener Hofoper, war schon kränkelnd nach berlin gekommen und verschied, nachdem er noch die glänzenden Triumphe seiner “Lustigen Weiber” gesehen, plötzlich am Schlagfluß.
Es muß den teilnehmenden Beobachter mit Wehmut erfüllen, wenn er sieht, wie Lortzing nicht allein von jedwedem Mißgeschick hartnäckig verfolgt, sondern auch – als sollte er all das Elend nur um so schwerer empfinden – von vielversprechenden Erwartungen und glänzenden Hoffnungen gefoppt und genarrt wurde. Es war, als wollte es ihm das Schicksal an einer Skala herrlicher Aussichten gleichsam vor Augen führen, wie ihm allein alles glück versagt sei und wie für ihn nichts weiter übrig bleibe als – Entsagung. So täuschte ihn die 1844 angetretene Kapellmeisterstelle in allen seinen Erwartungen; so zerfiel auch die scheinbar großartige Aussichten eröffnende Kapellmeisterstelle in Wien nach kaum zweijährigem Dahinfristen in nichts und so ging es ihm schließlich auch bei seiner Bewerbung um die frei gewordenen Stellen in berlin und Dresden. Handelte es sich doch um eine Stelle, die hier die Nachfolgerschaft Carl Maria von Webers und Richard Wagners, dort diejenige des seiner Zeit allmächtigen Spontini bedeutete, um Stellen, denen er mit seinen fen wohl gewachsen gewesen wäre, die seiner Schaffenskraft durch Enthebung von allen materiellen Sorgen einen neuen großen Impuls geben konnten, die er durch seine herrlichen urwüchsig deutschen Werke so sehr verdient hatte und die ihm schließlich – trotz seiner persönlichen Bemühungen – versagt wurden.
Eine verhältnismäßig große Freude brachte für ihn nach all diesen erlittenen Demütigungen, die endlich am 25. Mai 1849 erfolgende Aufführung seines einundzwanzigsten Bühnenmusikwerks, “Die Rolandsknappen oder Das ersehnte Glück”, komisch romantische Zauberoper in drie Aufzügen, nach dem gleichnamigen Märchen von Johann Karl August Musäus von G.M. mit sich. Er berichtet über diese schon am 26. Mai an seine Familie, die in Wien in den Unruhen des ungarischen Aufstandes zurückgeblieben war, wie folgt: “Freut euch mit mir, ihr lieben Leute. Gestern ist meine Oper gegeben und mit ungeheurem Jubel worden. Die Aufführung war in Berücksichtigung, daß wir nur zwei Orchesterproben tten, eine vortreffliche zu nennen. Die Mayer sang himmlisch, die Bachmann war vorzüglich wie immer. Wiedemann, Brassin und Behr ebenfalls sehr brav. Fast jede Nummer wurde stürmisch applaudiert und ich mit den Sängern nach dem zweiten und dritten Akt gerufen. Ein anhaltender Applaus empfing mich auch bei meinem Erscheinen im Orchester. Das Haus war mit Bezugnahme auf die Zeitumstände und das schöne Wetter voll zu nennen. Mindestens war es so voll lange nicht. Morgen, am ersten Pfingsttag, ist die Oper wieder; die Hitze wird unmenschlich sein, ich war schon gestern wie aus dem Wasser gezogen. Das Gefühl, mit welchem ich ins Orchester ging, will ich meinem Feind nicht gönnen; es handelte sich gewissermaßen um einen Wendepunkt in meinem Wirken. Wäre ich auch mit dieser Oper abgefallen, ich hätte nicht den Mut gehabt, noch einmal die Feder anzusetzen. – Man könnte freilich sagen, daß die Sympathie für mich in Leipzig groß ist; soviel glaube ich aber ohne Eitelkeit heraushören zu können, daß die Oper auch an anderen Orten Anklang finden wird.”
An einigen Orten hat sie auch thatsächlich Anklang gefunden; haben wir aber schon oben gesehen, daß ihre erste Aufführung unter fremdem Einfluß mehr und mehr zurückgedrängt worden war, so sehen wir sie, da sie den Kampf der Konkurrenz ausgenommen, fast gänzlich zurücktreten hinter Werke, die einmal textlich und musikalisch weit höher standen standen als die “Rolandsknappen”, die dann aber auch der in jenem Jahr kräftig aufstrebenden Volksidee einen breiteren Raum zuwiesen. Und das bezauberte das Publikum, nur hierfür hatte es Sinn. So war der Masaniello in Aubers Oper “Die Stumme von Portici” (1828) der Vertreter der innersten Wünsche des Volkes und wies mit mächtigem Schwung auf das Ziel der Volksbewegung hin, wenn er singt: “Das teure Vaterland zu retten, sind wir bereit mit Kraft und Mut!” Wagners “Rienzi” trat auf als der römische Volksheld, der das Volk, “das er zu diesem Namen erst erhob” wieder in Besitz der Weltherrschaft setzen wollte und durch Meyerbeer schließlich wurde die Opernbühne zu einem zweiten Schauplatz des politischen Lebens jener Tage. “Bei Meyerbeer,” so schreibt Heinrich Heine in seinen Pariser Briefen (Reclamsche Ausgabe, Band 4, Seite 502 und 506), “finden wir die Oberherrschaft der Harmonie; in dem Strom der harmonischen Massen verklingen, ja ersäufen die Melodien, wie die besonderen Empfindungen des einzelnen Menschen untergehen in dem Gesamtgefühl eines ganzes Volkes und in diese harmonischen Ströme stürzt sich gern unsre Seele, wenn sie von den Leiden und Freuden des ganzen Menschengeschlechts erfaßt wird und Partei ergreift für die großen Fragen der Gesellschaft. Meyerbeers Musik ist mehr social als individuell; die dankbare Gegenwart, die ihre inneren und äußeren Fehden, ihren Gemütszwiespalt und ihren Willenskampf, ihre Not und ihre Hoffnung in seiner Musik wiederfindet, feiert ihre eigene Leidenschaft, während sie dem großen Maestro applaudiert”.
“Meyerbeer ist ein Mann der Überzeugung. Dieses bezieht sich aber nicht eigentlich auf die Tagesfragen der Gesellschaft, obgleich auch in diesem Betracht bei Meyerbeer die Gesinnungen fester begründet stehen, als bei anderen Künstlern. Meyerbeer, den die Fürsten dieser Erde mit allen möglichen Ehrenbezeigungen überschütten, und der auch für diese Auszeichnungen so viel Sinn hat, trägt doch ein Herz in der Brust, welches für die heiligsten Interessen der Menschheit glüht, und unumwunden gesteht er seinen Kultus für die Helden der Revolution. Es ist ein Glück für ihn, daß manche nordische Behörden keine Musik verstehen, sie würden sonst in den “Hugenotten” nicht bloß einen Parteikampf zwischen Protestanten und katholiken erblicken.” – Hat zwar auch die Zeit einer ruhigeren und klareren Beurteilung des wertes der Meyerbeerschen Musik Platz gemacht, so ist diese “Zeitstimme” doch höchst bezeichnend für die Aufnahmefür die Aufnahme, selche Meyerbeers Opern gefunden haben. Und mochten ferner auch beispielsweise die “Hugenotten” ein persönlicheres und lokaleres Interesse haben für das französische Volk und seine Begeisterung auf einen höheren Grad steigern: dasjenige, was in Meyerbeers Werken von den großen Menschheitsfragen erklang, fand auch in Deutschland einen mächtigen Wiederhall und wurde vom deutschen Publikum mit einem Enthusiasmus aufgenommen, der das Interesse für Lortzings schlichtes Zaubermärchenkaum aukommen ließ. Nur in dem Lortzing allezeit persönlich wohlgesinnten Leipzig konnte dem dem Tagesinteresse so fern stehenden Werk eine erste Auführung ermöglicht werden. – Die Bearbeitung des Textes, der den “Volksmärchen der Deutschen” von Musäus* entnommen ist, zeigt den erfahrenen Blick und die gewandte Hand des Dichterkomponisten, der musikalische Effekte textlich geschickt vorzubereiten und zur Geltung zu bringen versteht. [*Johann Karl August Musäus, 1735 zu Jena geboren, von 1770 ab Professor am Gymnasium zu Weimar, gestorben den 28. Oktober 1787, wurde besonders durch seine Volksmärchen bekannt.] Zum Hauptmotiv der Oper hat der komponist das in dem Terzett Nr. 6 zuerst gegebene amerikanische “Home sweet home” nicht ohne geschick verwertet. Nicht das Lied selbst ist verwertet, sondern eine nach Inhalt und Charakter ähnliche eigene Komposition. Die eigenartig-süßliche Sentimentalität des amerikanischen Geschmackes, die hierdurch einzelnen Nummern gegeben worden ist, hat jedoch mit unsrem weit kräftigeren Volksliede zu wenig gemein, als daß diese Musik zu derselben Popularität sich hätte erheben können, wie sie die Lieder in “Czaar und Zimmermann” und im “Waffenschmied” gefunden haben. Die Ouverture, ein Satz von frischer und liebenswürdiger Salonmusik, die lebenswarme Romanze des Amarin Nr. 2, das reizende Terzett Nr. 5, sowie der Jagdchord Nr. 7 mit dem sich daranschließenden ersten Finale Nr. 8, sind Nummern, die bei geschickter Instrumentation immer noch Anerkennung und Achtung vor derLortzingschen Erfindungsgabe abnötigen. In weit höherem Maße gilt dies von dem Quartett Nr. 16, das, noch einmal den alten lebenskräftigen Lortzingschen Humor widerspiegelnd, ohne Zweifel den musikalischen Gipfelpunkt der Oper darstellt. Die große Arie Nr. 14, die sentimentale Kavatine Nr. 15, sowie das Finale des dritten Aufzugs Nr. 17 können nur als schwache produkte bezeichnet werden und ist es hier nur wieder die Routine des Komponisten, die am Schlusse durch geschickte Anklänge an jenes Motiv vom Terzett Nr. 6 einen wohltuenden und einigermaßen befriedigende Eindruck hervorbringt. Der Gesamteindruck des Ganzen zeigt zwar nur das in kleinem Rahmen sich bewegende, gleichsam im traulichen Heim am schnurrenden Spinnrocken erzählte Volksmärchen, bringt aber in seiner liebenswürdigen Kleinmalerei ein so hohes Maß sychologisch feinen Beobachtens und feinfühligen Temperierens der seelischen Äußerungen, daß die Oper vielleicht gerade in unseren Tagen bei einer neuerlichen Aufführung ihres Erfolges sicher sein dürfte.
Die mit der Leitung seiner “Rolandsknappen” verbundenen Aussichten auf die Leipziger Kapellmeisterstelle hatten sich thatsächlich zum Abschluß eines dreijährigen Kontrakts verdichtet; voll der besten Hoffnungen fuhr er am 6. Juni 1849 nach Wien und ordnete daselbst rasch seine Angelegenheiten.
Vor seiner Verabschiedung von Wien ist noch sein zweiundzwanzigstes Bühnenmusikwerk zu erwähnen, die dort vollendete Komposition zu “Vier Wochen in Ischl”, Posse in drei Aufzügen von J.K. Böhm. Es war eine gelegentliche Arbeit ohne tiefere Bedeutung. Vom Manuskript ist nur nog einiges erhalten.
Voll bitterer Enttäuschungen, in traurigen Geldverhältnissen, aber mit noch ungebrochenem Mute verließ er die Donaustadt, nahm seine Familie mit sich und traf zu Anfang Juli 1849 wieder in Leipzig ein.
Der August des Jahres 1849 gab Lortzing Veranlassung, sein dreiundzwanzigstes Bühnenmusikwerk, Gesänge aus dem zweiten Teil des “Faust” zu komponieren. Die Kompositionen zum “Faust” entstanden vermutlich 1849 zur hundertjahrfeiern Goethes geburtstag in Leipzig, nach Gestalt und Umfang zu schließen für den Schillerverein, bei dessen Festlichkeiten seit der Gründung (1840) Lortzing die musikalische Leitung inne hatte. Er hat offenbar die Gesänge selbst am Klavier begleitet, denn die vorhandenen Manuskripte weisen nur die Gesangstimmen vollständig auf, während Vor- und Zwischenspiele gänzlich fehlen und die Begleitung nur teilweise angedeutet ist. Das Türmerlied und die Chöre der himmlischen Heerschar waren zuerst wieder aufgefunden worden. Seitdem ist es gelungen, auch den Abschluß der Scenen – das Melodram, das Solo des Doktor Marianus und den Chorus mysticus – aus einzelnen losen Blättern, welche kaum ein Wort Text enthielten, herauszufinden, so daß nun als ein Ganzes vorliegt was seiner Zeit von Lortzing komponiert wurde. Es handelt sich alsohier um eine gelegenheitsarbeit, die gar nicht für die Öffentlichkeit, sondern für eine privaten Kreis mi offenbar recht beschränkten Mitteln bestimmt war. Ein Schaupieler, der die Verse sprach, ein Sänger für die Solostellen, der komponist am Klavier und ein wahrscheinlich recht kleiner Chor, das war der ganze Apparat, der für diese Faust-Scenen in Bewegung gesetzt wurde. Es bedarf also wohl kaum der Erwähnung, daß Lortzing nicht daran dachte und denken konnte, mit Schumann oder Berlioz in einen Wettkampf einzutreten, sondern nur bemüht war, für seinen Zweck und in seiner Art die ihm gestellte Aufgabe zu lösen. Man muß deshalb füglich von jeder Vergleichung absehen und Lortzings anmutige Tonschöpfung so unbefangen aufnehmen, als er sie gab.
Auch die Dichtung zu “Cagliostro”, komische oper in drei Aufzügen, sein vierundzwanzigste Bühnenwerk, von dem nur das Buch vorhanden ist, muß in dieser Zeit (Ende 1849) erwähnt werden.
Ebenso eine Komposition zu den “Drei Edelsteinen”, Märchen in drei Aufzügen von Roderich Benedix, Lortzings fünfundzwanzigste Bühnenmusikwerk.
Leider sollte der vertrag mit Wirsing, der ihm och wieder auf drei Jahre wenigstens einige Sicherheit zu bieten schien, wenige Wochen nicht überdauern und so schrieb er unterm 4. Februar 1850 an seinen in Freud’ und Leid treuen Freund Reger: “Es muß! sagt Wilhelm Tell, als er losschießen soll – und so sage ich auch; lange habe ich gezögert, dir mein Schicksal mitzuteilen, weil es mir zu unangenehm ist, die Fakta wiederkäuen zu müssen; ich will darum so kurz sein wie möglich. Daß ich wieder ohne Engagement bin – zur Sache: einige Wochen nach meinem Antritt schreibt mir Wirsing, wie er veranlaßt worden sei, Herrn Kapellmeister Rietz wieder engagieren zu müssen, wobei er nich undeutlich darauf hindeutete, daß Unzufriedenheitder Sänger mit mir die Veranlassung gewesen sei, und ich mich fortan mit jenem in die Direktion der Opern zu teilen hätte. Wäre mir dieser Antrag gleich zu Ostern geworden, so kam er mir sehrerwünscht und ich würde mich behaglich gefühlt haben – ich hätte es wenigstens geglaubt. So aber, nachdem ich die Stellung kennen gelernt, welche Rietz einnahm, wäre ich das fünfte Rad am Wagen geworden; ich sah Sänger und Orchester im Komplott gegen mich und wollte lieber wer weiß was thun, als hier aufgedrungen sein; kurz, ich sah alles im schwärzesten Lichte und forderte von Wirsing, obwohl mein gutes Weib sich dagegen stemmte, meine augenblickliche Entlassung, die er mir – da ich nämlich dreijährigen Kontrakt hatte – natürlich gleich bewilligte”. Nachdem er dann über seine zerrüttete Finanzlage gesprochen und über ein ihm vom Direktor noch geschuldetes, für ihn aber recht ärmlcih ausgefallenes benefiz berichtet, fährt er fort: “Darauf fing ich an, die Umgegend unsiher zu machen, dirigierte, gastierte und verdiente, und verdiene ganz passabel Geld; könnte mich auch wohl dabei fühlen, hätte ich nicht in Leipzig so mancherlei zu decken daß wenig zu meinem Unterhalt übrig bleibt, und wäre nicht mein Inneres – das gewiß von festem Zeug war – so zerrissen. Der deutsche Komponist Albert Lortzing muß alle acht bis zehn tage seine Familie erlassen! ihre geringe Barschaft reicht kaum so weit, bis er wieder etwas verdient hat! er selbst hat kaum so viel, um den Dampfwagen bezahlen zu können! – Es ist nur dummes Zeug, aber es war mir ein schmerzliches Gefühl, zum erstenmal in meinem Leben den Sylvesterabend ohne die Meinigen, sowie meiner fünfundzwaznzigjährigen Hochzeitstag fern von meinem guten Weibe zubringen zu müssen! Dazu die Strapazen bei solcher Kälte auf solchen kleinen Theatern und vor allem: der gräßhe Widerwille gegen das Komödiespielen! Aber merkwürdig, alle Theater sind versessen darauf an bedeutende habe ich noch gar nicht geschrieben, doch bin ich überzeugt, daß ich auch ei jenen willkommen bin und weshalb? – Nicht weil ich der Schauspieler, nein, weil ich der Komponist Lortzing bin und das ist eben das Bittere dabei!” So machte er denn Gastspielreisen nach Gera, Altenburg, Dessau, Chemnitz etc, mußte alle Unbilden dieses traurigen Vagantenlebens durchmachen, trotz eines starken Ohrenübels in leicht gebauten, nicht heizbaren Schauspielhäusern Komödie spielen; vor schlechten Dekorationen mit mangelhaft geshultem Orchester sich abmühen, dazu von den Rampen bei immerwährenden Lampendampf einatmen, schließlich auch noch f das auf diese Weise sauer verdiente Honorar tagelang sich vertrösten lasse, bis – eine neue Fata Morgana ihm nach zwei Seiten hin verlockende Bilder vor Augen zauberte. – Zu Anfang Februar 1850 erhielt Lortzing von B. Lumley, dem Direktor des königlichen Theaters in London, ein schreiben, das mit den Worten anfängt: “J’ai l’intention de produire au théâtre de Sa Majesté à Londres, votre chef d’oeuvre le Czaar et le Zimmermann”. (Ich habe die Absicht, Ihr Meisterwerk “Czaar und Zimmermann” in London zu geben.) Wat auch ein großer pekuniärer Erfolg in dem früher freien England, welches das Recht des Autors nicht beahtete, nicht zu erwarten, so eröffnete gleichwohl der dem “Czaaren” überall sichere Erfolg dem Komponisten manche neue Perspektive. Schon im April sollte die Aufführung bei der italienischen Oper stattfinden; Entschädigung für Reise- und Aufenthaltskosten, sowie Übernahme der Übersetzungskosten durch Lumley waren bereits festgesetzt und dabei Lortzing die Aussicht die Aussich eröffnet worden, durch Verkauf des Klavierauszugs an einen Londoner verleger doch noch ein schönes Stück Geld zu verdienenals der letzte, abschließend entscheidende Brief – ausblieb. Lortzing war wieder um eine betrogene Hoffnung reicher.
Infolge jenes Briefes Lortzings vom 4. Februar 1850 hatte sich Reger wieder für seinen Freund bemüht und machte, im Verein mit anderen Gleichgesinnten, Lortzing den Vorschlag einer Kunstreise nach Paris. Da Lortzing jedoch die Seinigen in diesem Falle hättein Leipzig lassen müssen, so wäre die Sache, die auch in künstlerischer Beziehung manche Bedenken bot, sehr teuer gekommen, “und dann hauptsächlich” – so schreibt er an Reger – “bin ich ohne Familie ein halber Mensch, unfähig zu allem, ja – ich habe im Verlaufe eines Jahres, wo ich periodisch Wochen, ja Monate von meiner Familie getrennt war, so recht innig empfunden, wie notwendig sie mir ist, wie ich nur bei ihr für alles Mühevolle Stärkung, für alles Bittere Trost holen kann. Ich habe es erfahren, was es heißt und wie es thut, wenn man – wie ich jetzt auf meinen Kunstreisen??? – in einem unfreundlichen Zimmer eines Gasthauses sitzt und unwillkürlich über Gegenwart wie Zukunft Betrachtung anstellen muß; ich bin manchmal ganz verzweifelt. Ich habe stets Arbeit, Beschäftigung bei mir, aber – es ging nicht; ich habe auf meinen sämtlichen Pilgerfahrten nicht drei Noten geschrieben und mit dem Dichten ging’s nun erst recht nicht.”
Lortzing blieb zunächst in Leipzig, und benutzte seine von Gastspielen freie Zeit, um “Im Irrenhause” und “Die Opernprobe” zu komponieren.
“Im Irrenhause”, Genrebild in einem Aufzug, sein sechsundzwanzigstes Bühnenmusikwerk datier seinen Beginn vom 7. März 1850. Es ist wenig darüber zu ermitteln, auch nicht, ob es Lortzing selbst, oder ein anderer verfaßt hat.
Als er auch das Leipziger Anerbieten hatte im Sander verlaufen sehen, entschied ersich für ein Mitte Februar angebotenes Engagement am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater und traf am 30. April 1850 ohne die Seinigen in Berlin ein. Da der Anfang durch die letzten Bauarbeiten noch um einige Wochen erzögert worden war, konnte das Theater erst am 17. Mai 1850 eröffnet werden. Die “Zillerthaler”, ein kleines Singspiel, dessen von Lortzing neu komponierte Ouverture außerordentlichen Beifall fand, war zur Eröffnungsvorstellung ausersehen.
Lortzings Ruf als Komponist war, da seine Opern sowohl in Potsdam als auch in den angrenzenden preußischen Provinzen ztets auf dem Spielplan standen und er Bahn von Berlin aus teilweise auch besucht werden, den Berlinern wohl bekannt und o war er nicht allein von den Mitgliedern und der Direktion höchst ehrenoll empfangen worden, sondern auch das Publikum begrüßte ihn mit einem nicht endenwollenden Beifallssturm. Lortzing, dem es darum zu thun war, das auf Lustspiel, Posse und Singspiel beschränkte Repertoire seines Theaters durch die Spieloper zu erweitern, arbeitete wieder mit großem Fleiß.
10 – Gustav Albert Lortzing – Die Opernprobe.