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Mit Wehmut muß man sehen, wie sich Lortzing in jener letzten, seiner recht wenig würdigen Stellung mit Kompositionen beschäftigen mußte, die lediglich im Rahmn jenes Theaters sich bewegten.
So mit der “Berliner Grisette” seinem siebenundzwanzigsten Bühnenmusikwerk, Posse mit Gesang in einem Aufzug von Otto Stoz, deren Erstaufführung in Berlin den 16. Juni 1850 stattfand.
Weiter mit der einaktigen Posse “Ein Nachmittag in Moabit”, seiner achtundzwanzigsten Bühnenmusik.
Anfang Juli 1850 war er wieder mit den Seinen vereinigt.
Zu “Ferdinand von Schill”, einem vaterländischen Drama in fünf Aufzügen von Rudolf von Gottschall, Erstaufführung Berlin, den 20. November 1850 komponierte er seine neunundzwznzigste, zur Handlung gehörige, verloren gegangene Musik und die Ouverture.
Eine Bearbeitung “Des Künstlers Erdenwallen”, Lustspiel in vier Aufzügen nach Julius von Voß stammt wohl auch aus jener letzten Zeit.
Die zur Eröffnung des Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters, zum 17. Mai 1850 eigens komponierte und sehr beifällig aufgenommen Jubelouverture erschien bei P. Philipp in Berlin im Druck und wurde, allerdings erst nach dem Tode des Komponisten, ein sehr beliebtes und häufig aufgeführtes Repertoirestück sämtlicher deutscher Orchester- und Musikchöre. Seine großen Opern konnten am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater aus Mangel an Personal nicht aufgeführt werden, zu neuen Kompositionen war er nicht mehr fähig und so mußte er denn an jedem Tag, den Gott werden ließ, Possen und Zauberspielen einstudieren und dirigieren, eine Beschäftigung, für welche jeder zugelaufene Musikant, wie er selbst bekennt, dieselben Dienste gethan hätte. “Ich führe jetzt ein Leben”, so schreibt er unterm 1. August 1850 an Düringer, “in welchem du mich nicht wieder erkennen würdest; von einer Kneipe – du weißt, das war früher zuweilen meine Passion – ist keine Rede mehr. Wie heißt das Lied in der klassischen Oper: “’s hat alles seine Ursach’ &c?” Ja, ja, es hat auch wirklich seine Ursache, und damit du nicht wieder schimpfst, weil ich dir kein Vertrauen geschenkt, so gestehe ich dir, was ich noch keinem gestanden, daß ich durch die letzten verhängnisvollen Jahre, das viele übersiedeln, die mehrfache Engagementslosigkeit und hauptsächlich durch den seit drei Jahren gänzlich von mir gewichenen Opensegen, so verarmt bin – so verarmt, daß Deutschland darüber erröten könnte, wenn es anders Scham im Leibe hätte. Gott weiß es und die Meinigen, ich habe immer gearbeitet, aber ich habe seit drei Jahren mit den drei letzten neuen Opern Pech gehabt, das heißt: es ist keine durchgefallen, aber sie haben halt das nicht gemacht, was man von mir erwartete, und die Herren Intendanten, Direktoren, Oberregisseure und andere S[chweinehunde], wenn sie nicht gleich Erfolge wie die des ‘Freischützen’, auch eines ‘Czaar und Zimmermann’ wittern, lassen den deutschen Komponsiten im Stich – weil es eben ein Deutscher ist. Wie wurde und wird gleich nach französischen Opern geangelt! Welche Honorare hat sich hier Herr Bote und Bock für die Halévysche Oper: ‘Das Thal von Andorra’ zahlen lassen, und die Oper hat nirgenwo etwas gemacht”. – “Meine kleine Gage beträgt (ohne Benefiz) 600 Thaler und reicht natürlich kaum für den Magen aus; auch auf diese habe ich Vorschuß nehmen müssen, der mir wieder in Raten abgezogen wird. Ich darf dir zuschwören, daß es mir manchmal am Notwendigsten fehlt und kann mich doch vor der Welt nicht bloßgeben, weil ich mich schäme – für die Welt! – Ich arbeite nur für die Verleger, werde von diesen H[unden] getreten und ….muß mich treten lassen!”
Zu seinem Benefiz hatte Lortzing “Die beiden Schützen” gewählt, welche er mit Hilfe einiger erster Kräfte vom Krollschen Theater als ersten Opernversuch am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater aufführte. Das Haus war so leer, daß Lortzing von dem Ertrag nicht einmal den Vorschuß decken konnte. Direktor Deichmann, der Lortzings bedrängte :age wohl kannte und seine außerordentliche Bemühungen um diese Vorstellung wohl zu würdigen wußte, setzte nun eine zweite Vorstellung an und bestimmte den Ertrag dieser Aufführung für Lortzing. Auch diesmal war das Haus, trotz einladender Aufrufe in verschiedenen Zeitungen leer und so mußte Lortzing ansehen, daß die dritte Vorstellung, die nun nicht zu seinen Gunsten gegeben wurde, vor überfülltem Hause stattfand. – Lortzings Mut war gänzlich gebrochen; mit dem 1. Februar 1851 rückte sein Kündigungstermin heran, am 1. Mai 1851 war sein Kontrakt abgelaufen und so rieb ihn die Sorge um das Tägliche Brot auf.
Es ging zu Ende!
Schon Mitte Januar klagte er über Beklommenheit und Blutandrang nach Brust und Kopf; wiederholt hatte er schon die Absicht geäußert, sich schröpfen zu lassen, hatte es aber – wohl aus Sparsamkeitsrücksichten – von Tag zu Tag hinausgeschoben. Am 20. Januar 1851 abends kam er ermüdet nach Hause, setzte sich mit den Seinigen zu Tisch, ließ seinen jüngsten Knaben (Hans Lortzing), für welchen er die zärtlichste Liebe hegte und welcher von ihm “das Bubi” genannt wurde, das “Vaterunser” beten und bagab sich dann selbst zur Ruhe. Er schlief ruhig bis früh sieben Uhr und wünschte noch den Seinigen einen guten Morgen; plötzlich hörten sie ein schmerzliches Stöhnen und traten erschrocken an sein Bett: mit kaltem Schweiß bedeckt lag er da. Der schnell herbeigerufene Arzt ließ ihm – nun es zu spät war – an beiden Armen zugleich zur Ader, aber der Todesengel stand schon zu Häupten seines Lagers; noch einen langen Blick warf er auf seine Lieben und dann schloß sich sein treues Auge für immer.
So war denn sein Lieblingsspruch, den er schon seit Jahren über seinem Schreibtisch angeklebt hatte, an ihm selbst in der traurigsten Weise in Erfüllung gegangen:
“Das arme Herz hienieden –
Von manchen Sturm bewegt –
Erlangt den wahren Frieden
Nur – wenn es nicht mehr schlägt!”
Die allgemeine Trauer, welche sich beim Bekanntwerden des Dahinscheidens dieses edlen Künstlers und Menschen in allen Künstler- wie Laienkreisen zeigte, offenbarte so recht deutlich die große Volkstümlichkeit, der er sich durch seine Werke allenthalben erfreute. Man fühlte, daß mit ihm ein Vertreter deutscher Gemütsinnigkeit und deutschen Humors dahingegangen war, daß ein herrlicher Melodienborn aufgehört hatte, seinen erfrischenden und lebensprudelnden Inhalt in immer neuen und herzerquickenden Formen zu spenden. Lortzings hervorstechendste Eigenschaft war seine Natürlichkeit; seine kindliche Harmlosigkeit, sein neckisch-munteres Spiel, seine naturwüchsig heitere Laune bewahrt er sich auch durch die echt künstlerischen Formen seiner Ensemblestücke. In der Anlage und Durchführung derselben zeigt er sich als Meister auf einem Gebiet, das anderen, selbst in der musikalischen Theorie bewährteren Komponisten bei weitem nicht mit der Leichtigkeit zugänglich war wie Lortzing, dessen Leistungen hier um so höher anerkannt werden müssen, als er auf einem bisher nur wenig bebauten Gebiet, selbst in den komplizierten Sätzen des Quintetts und Sextetts, stets die lachende Stimmung ungetrübt zu erhalten verstand. Der Hauptgrund jedoch, weshalb Lortzing in so hohem Grade der Liebling des deutschen Volkes geworden ist, liegt in der häufigen Verflechtung des stophischen Liedes in die Oper. Die bewegere Arie, die in und mit dem Strome der Handlung dahintreibt, die, vor- und rückwärts schauend, einzelne dramatische Effekte zu erhöhterer Wirkung bringt, wurde von Lortzing nicht so häufig angewandt als das strophische Lied, das, indem es gewissermaßen einen Blick in das Innere der Menschenbrust darstellt, die Empfindungen und Gefühle des Menschen kundgiebt, die innersten Regungen seiner Seele widerspiegelt. Diese Unmittelbarkeit des musikalischen Strebens die dem Bedürfnis, Gefühle und Empfindungen in Tönen erklingen zu lassen, entspringt, war für Lortzing, der als Mensch wie als Dichter nur wahr sein konnte in seinem ganzen Sinnen und Streben, eine Hauptquelle der musikalischen Schaffenskraft und Schaffenslust; und gerade in dieser Übereinstimmung des Kunstwerks mit dem Innern des Künstlers liegt die Wahrheit der Kunst. – Mancher seiner gestrengen Kritiker hat durch erborgten Flitter und technisches Beiwerk den Mangel an positiver Erfindungskraft zu verdecken gesucht, während Lortzing stets darauf verzichtet hat, Hilfsmittel herbeizuziehen die, wenn sie nicht von einem auf höherer Stufe, als er sie erreichgt hat, Stehenden ausgingen, hohl und nichtssagend erscheinen mußten. Hält er sich so auf der einen Seite frei von leeren Formen und unechtem Pathos, so vernehmen wir andrerseits, da, wo er im Liede die innersten Saiten des Gemüts anschlägt, seinen echten lebenswarmen Herzschlag. Zuweilen hat sich ja der Komponist seiner Neigung zu Einschiebung von Liedern etwas zu frei hingegeben, doch darf auch nicht unerwähnt bleiben, daß es in seinen Opern gerade das Lied ist, das einen wohlthätigen Ruhepunkt für den Hörer bildet, wie ihn die bewegte Arie nicht hervorzubringen vermag. Dabei war es Lortzing namentlich um die Erhaltung und Pflege der Grundstimmung zu thun; deshalb vermied er es, seine Lieder – wie Schumann und Schubert – durchzukomponieren, da hierbei das einzelne Wort allerdings besser zu seinem musikalischen Ausdruck gebracht, die Gesamtstimmung aber oft gefährdet wird. Lortzings Lieder sind strophisch komponiert, schmiegen sich infolgedessen nicht so nahe an die einzelnen Wendungen des poetischen Fühlens und Denkens an, treten aber auch nie aus der zu erzeugenden Grundstimmung heraus. Lortzing folgt hierin wieder seiner eigenen Begabung, sowie seiner ausgesprochenen Neigung für das Volkstümliche. Denn das Volk hält sich und wird sich stets halten an die wiederkehrende Melodie, während die kunstreichere Form des durchkomponierten Liedes seinem einfach schlichten Denken und Fühlen ferner liegt. Dbei trägt Lortzings Humor stets das Gepräge des Einfach-fröhlichen, durchaus Anständigen an sich und muß es als sein specielles Verdienst bezeichnet werden, in einer Zeit, wo die dem zweiten Kaiserreich gefälligen, mit Lascivem Blödsinn überladenen Offenbachsen Bouffonerien auch in Deutschland ihre Geschmack verderbende Wirkung zu äußern begannen, der Spekulation auf die Sinnlichkeit der Menge entgegengetreten zu sein mit reinem sittlichem Ernst, der auch den Schein des Anstößigen vermeidet und der Selbst seinen heiteren Kompositionen zur Grundlage dient. Mit seinem Taktgefühl verstand er es, die Richtung auf das Volksmäßige den Anforderungen der Bühne anzupassen und aus diesm ihm eigenen Geschick und seinem edlen Streben nach einer freien Kunstentfaltung auch im Volkstümlichen, hat sich eine Künstler-Individualität entwickelt, die vom Volk verstanden und durch dasselbe – allen Mahrufen einer engherzigen Kritik zum Trotz – auf die Höhe der Wertschätzung emporgehoben wurde, die ihm gebührte. Und so zeigt sich dem aufmerksamen Beobachter der Lortzingschen Erfolge eine eigenartige Erscheinung: der Unterschied nämlich der Volkskritik von der eigentlich berufenen Kunstkritik, und hier wird durch ein lebendiges Beispiel aus unsrer neuesten Musikgeschichte so recht augenfällig bewahrheitet, was Heine über die musikalische Kritik sagt (Reclamsche Ausgabe, Band 4, Seite 500): “”Die musikalische Kritik kann sich nur auf Erfahrung, nicht auf Synthese stützen; sie sollte die musikalischen Werke nur nach ihren Ähnlichkeiten klassifizieren und den Eindruck, den sie auf die Gesamtheit hervorgebracht, als Maßstab annehmen. – Nichts ist unzulänglicher als das Theoretisieren in der Musik; hier giebt es freilich Gesetze, mathematisch bestimmte Gesetze, aber diese Gesetze sind nicht die Musik, sndern ihre Bedingnisse, wie die Kunst des Zeichnens und der Farbenlehre, oder gar Palette und Pinsel, nicht die Malerei sind, sondern nur notwendige Mittel. Das Wesen der Musik ist Offenbarung, es läßt sich keine Rechenschaft davon geben, und die wahre musikalische Kritik ist eine Erfahrungswissenschaft. – Ich kenne nichts Unerquicklicheres, als eine Kritik von Monsieur Fetis, oder von seinem Sohne Monsieur Fötus, wo a priori, aus letzten Gründen, einem musikalischen Werke sein Wert ab- oder zuräsonniert wird. Dergleichen Kritiken, abgefaßt in einem gewissen Argot und gespickt mit technischen Ausdrücken, die nicht der allgemein gebildeten Welt, sondern nur den exekutierenden Künstlern bekannt sind, geben jenem leeren Gewäsch ein gewisses Ansehen bei der großen Menge.” – So verfuhr auch zur Zeit des ersten Erscheinens des “Czaaren” das Gros der Kritik, nachdem der Versuch, das neue Werk totzuschweigen, mißglückt war, à la Monsieur Fötus und erst als aus Berlin die Kunde von der überaus begeisterten Aufnahme des Werkes kam, erst als das durch eine Fötuskritik befangene Publikum gehört hatte: Ja, was euch so ausnehmend gefallen hat, hat auch in dem verwöhnten Berlin einen wahren Beifallssturm erregt, erst da konnte “der Eindruck, den die Oper auf die Gesamtheit – nämlich des Volkes – hervorgebracht” als wirklicher Maßstab dienen für den Wert des neuen Werkes. Dieser offenbare Sieg des nationalen Urteils über die Bedenklichkeiten der Kriik weist dem Komponisten auf dem Gebiet der volkstümlichen komischen Oper seine Stelle als die erste an.
Lortzing ist, wie schon vorher erwähnt, der Klassiker unserer echten deutschen Volksoper.
Das Leichenbegängnis des dahingeschiedenen Komponisten war ein überaus feierliches; hatte doch mit einem Schlag sein plötzlicher Tod dem deutschen Volke die Größe des erlittenen Verlustes vor Augen geführt und so vereinigten sich alle, um den Entschlafenen auf seinem letzten Gang zu geleiten. Der Chor der königlichen Oper sang mehrere Choräle, prediger Alt hielt eine kurze Rede an die Hintergebliebenen und Regisseur Anton Ascher rief dem Dahingeschiedenen den letzten Abschiedsgruß der deutschen Künstlerwelt nach; derselbe lautet: “Nur wenige Worte will ich diesem teuren Toten im namen seiner Kunstgenossen als letztes Lebewohl nachrufen. – Ein redliches Herz, ein anspruchsloser Sinn, ein warmes empfängliches Gemüt, begeisterte Liebe zur Kunst, ein großes Talent – alles das – in wenigen Augenblicken deckt es die Erde für immer! Die Andenken aber, teurer geliebter Freund, wird ewig leben unter uns, denn nie hat ein redlicheres Herz in einer Menschenbrust geschlagen! – Obgleich selbst vom Gechicke verfolgt und vielfach verkannt, kannte er weder Haß noch Neid. Der zärtliche Gatte und Vater, der treueste Freund war er, ein wohlwollender liebender Beförderer alles Guten und Schönen, eines jeden Strebens. Ich muß es anderen überlassen und es ist hier wohl auch nicht der Ort, seine Verdienste als Künstler zu schildern; – das aber weiß ich und das muß ich aussprechen, daß wohl selten eine so begabte Natur, ein so großes Talent so wenig nach Verdienst gewürdigt worden! – Während seine Schöpfungen Tausende entzückten, während seine melodien in den entferntesten Ländern erklangen, während seine Lieder im Munde des Volkes lebten, lebte er kümmerlich ein sorgenvolles Dasein, und der angestrengteste Fleiß, da redlichste Streben konnten ihn nicht davor schützen, daß nicht die Sorge m das Wohl, um die Zukunft der Seinigen, seine letzten Augenblicke verbitterte. Armer, armer Freund! Und doch wird dein Name den von Tausenden deiner Zeitgenossen überleben! – So schlafe wohl, geliebter Freund, und ruhe aus von deinen Leiden! Uns aber sei sein leben ein leuchtendes Vorbild, wir wollen sein Andenken heilig halten und es dadurch ehren, daß wir die Liebe, die Verehrung, die wir für ihn gehabt, auf die übertragen, die ihm die Teuersten waren, die er über alles geliebt, auf seine Gattin, auf seine Kinder!”
Ein unter Vorantritt der ersten deutschen Hoftheater gesammelter Fonds, dessen Erträgnis der Witwe ein jährliches Einkommen von 400 Thalern sicherte, wurde letzterer zur Verfügung gestellt und hiermit ein kleiner Teil der Schuld abgetragen, die das deutsche Volk dem Verblichenen gegenüber hatte.
Die auf dem Sophienkirchhof am Grabdenkmal Lortzings angebrachte Fassung der Grabschrift ist van Philipp Düringer und lautet:
Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid,
Sein Leben Kampf mit Not und Neid:
Das Leid flieht diesen Friedensort,
Der Kampf ist aus, sein Lied tönt fort!
Der Originalentwurf stammt von Dr. Max Ring, wurde von ihm im Auftrag Düringers verfaßt und demselben zum beliebigen Gebrauch überlassen. Dieser Originalentwurf lautet:
Deutsch war sein Lied und deutsch sein Leid
Sein Leben war voll Not und Neid:
Das Leid flieht diesen Friedensort,
Sein Lied tönt freudig fort und fort!
Die Behauptungen der Hinterbliebenen von Ludwig Rellstab, dieser Schriftsteller habe die Verse verfaßt, sind vollständig gegenstandslos.
Um den Hinterbliebenen noch heute eine Einnahme aus den Werken des zu früh verstorbenen Vaters zu ermöglichen, haben die Direktoren des deutschen Bühnenvereins neuerlich beschlossen, ein Prozent aus den Einnahmen Lortzingschen Opern, die lange Gemeingut geworden sind, an die Kinder und Enkel des Komponisten zu gewähren. Von der Münchener Hoftheaterintendanz erhalten Lortzings Erben drei Prozent von jeder Abendeinnahme.
Lortzings hinterlassene Gattin starb, befreit von Kummer und Not, am 13. Juni 1854. Rosine Lortzing, geborene Ahles, wurde am 5. Dezember 1800 zu Bietigheim geboren. Verdient es schon die Gattin unseres Meisters, dessen wechselnde Lebensschicksale sie in treuer Hingebung teilte, daß man ihrer gedenkt, so hat sie auch als Künstlerin Anspruch darauf; gehörte sie doch etwa fünfzehn Jahre als Darstellerin der Bühne an. Aus bürgerlichen Verhältnissen heraus betrat sie auf der Stuttgarter Hofbühne sehr früh die Bretter, nahm dann ein Engagement zu Direktor Derossi in Düsseldorf-Elberfeld an, wo sie Lortzing, der gleichfalls dort engagiert war, kennen lernte. Im Sommer 1821 absolvierte sie am Hoftheater in Braunschweig ein Gastspiel als “Hedwig” und “Toni” (von Körner) , “Agnes” (Der Mann im Feuer), “Elise von Valberg”, “Röse” (Das Gut Sternberg) und “Sophie von Hastfeld” (Die Schachmaschine). Dann ging sie mit der Familie Lortzing zu Direktor Ringelhardt nach Köln, wo sie am 30. Januar 1823 mit unserem Komponisten den Bund fürs Leben schloß. Ihr Fach war das der ersten Liebhaberinnen: Julia, Preciosa, Bertha (Ahnfrau) usw. Daneben spielte sie aber auch heitere Rollen, wie das Kammermädchen Hannchen in “Die Komödie aus dem Stegreif”, die Lortzing später als “Opernprobe” bearbeitete. 1826 trat sie mit ihrem Gatten das Engagement in Detmold an, wo sie in dem alten Ritterlustspiel “Das Turnier zu Kronstein” debütierte. Bemerkenswert ist, daß Frau Rosine hier die erste Darstellerin der “Donna Anna” in Grabbes “Don Juan und Faust” wurde und in den ersten Liederspielen Lortzings “Der Pole und sein Kind” und “Der Weihnachtsabend” die weiblichen Hauptrollen kreierte. Das Jahr 1833 brachte Lortzing nach Leipzig zu Direktor Ringelhardt zurück, wo sie auch mit den Eltern des Komponisten sich wieder vereint sahen. Am 18. November trat “Frau Lortizng die jüngere” als “Camilla” in Houwalds “Das Bild” auf, nach zwei Jahren quittierte sie das Theater ganz und lebte nur noch ihren häuslichen Pflichten. Diese waren nicht klein: schenkte doch Frau Rosine ihrem Gatten, wie schon früher erwähnt, nicht weniger als elf Kinder. Die schweren Zeiten, welche die Gatten nach der Auflösung des Leipziger Kontraktes (1845) durchzukämpfen hatten, der Aufenthalt in Wien (1846-49), die Rückkehr nach Leipzig, die Übersiedelung nach Berlin, der unerwartete Tod Lortzings am 2. Januar 1851 bilden ein trauriges Kapitel im Leben der schwergeprüften Frau. Dann kam eine kurze Zeit der Ruhe, da die Sammlungen für die Familie ihr wenigstens eine bescheidene Existenz gesichert hatten; aber nach einem Jahre schmerzlichen körperlichen Leidens folgte sie, wie vorher erwähnt, am 13. Juni 1854 ihrem Gatten. Sie ruht neben ihm auf dem Sophien-Kirchhof in der Bergstraße zu Berlin.
Achtundvierzig Jahre nach dem Tode des “deutschen Rossini”, des “Klassikers germanischen frischquellenden Humors” kam in Berlin im Königl. Hause eine Oper Meister Lortzings zur Aufführung, die im Sturmjahre 1848 komponiert, aus unbekannten Gründen durch die lange Zeit im Verborgenen schlummerte, ohne jemals vorher das Licht der lampen erblickt zu haben. Am 31. Mai 1848 begann der Komponist die Dichtung seiner “Regina”, die man mit Unrecht bis in die neueste Zeit herein als “Revolutionsoper” bezeichnete. Greift auch Lortzing seinen Stoff mitten aus der damals aufgeregten Zeit heraus, so behandelt er ihn doch eher als ein Rückschrittler, denn die Empörung gegen das Bestehende wird in seinem Werke durch Gesetzmäßigkeit und Treue zu Fall gebracht; die aufrührerische Bewegung hat keinen politischen Charakter, die Rebellen sind gemeine Räuber, die bürgerliche Ordnung trägt die Palme des Siegs davon. Allerdings kam es dabei doch zu einigen Abirrungen in der folgerichtigen Durchführung, die es neuerdings wünschenswert erscheinen ließen, sollte überhaupt an einer Hofoper eine Aufführung in Aussicht genommen werden, ein neues Buch zur Musik zu schaffen.
In einem Briefe an Reger aus dem Ende des Jahres 1848 erwähnt der Komponist das Werk zum erstenmal. Die 48er Jahre haben ihren Einfluß auf des Komponisten Arbeit deutlich ausgeübt, und zwar soweit sie für ihn, als für sein Vaterland, in Betracht kamen. Diesem Einfluß mag es wohl zuzuschreben sein, daß dem Komponisten, der sich außerdem mit dem Werke auf dem Gebiete der ihm ferner liegenden ernsten Oper bewegte, die Textdichtung nicht recht geriet. Man hat es zum Zwecke der Aufführung für notwendig befunden, den Text neu zu gestalten; Adolf L’Arronge hat diese Umgestaltung besorgt. Er läßt die Handlung im Hirschberger Thal in Schlesien spielen. Regina ist bei ihm die Tochter Jobst Zadecks, des Verwalters eines gräflichen Schlosses. Sie wird von ihrem Vter dem Gutsbesitzer Reinhard, den sie innig liebt, versprochen. Ein anderer aber, der Waldhüter Wolfram, begehrt gleichfalls Reginens Hand, als Dank dafür, daß er Zadeck einst vor Räubern geschützt. Als sie ihm verweiger wird, beschließt er, sie mit Gewalt zu erringen. Eine Anzahl von dem Landstreicher Ruprecht geführter Marodeure, von ihrer Truppe abgesprengte vagabundierende Soldaten kommen ihm gerade recht, seinen Plan ausführen zu helfen. Das Schloß wird in Brand gesetzt, ein reicher Silberschatz geraubt und Regina entführt. Steffen und Lise, zwei bei Zadeck Bedienstete, schleichen den Räubern nah und treffen mit ihnen in des ersteren elterlicher Hütte wieder zusammen. Ein Fäßchen schweren Weines senkt die Marodeure in Schlaf, Regina und die ihr Treuen fliehen. Aber die Flucht mißlingt. Nur Steffen kommt davon, erreicht Reinhard und den tiefgebeugten alten Vater, die nun eine Freischar dazu bewegen, den Räubern ihr Opfer zu entreißen. Draußen im Walde bei einem Pulverturm halten sie es gefangen. Die Freischärler dringen mutig vor. Als Wolfram sieht, daß er unterliegt, will er den Turm in die Luft sprengen; da ergreift Regina sein eigenes Geweht und schießt den Bösewicht nieder. Die Liebenden stürzen einander in die Arme. Herbeiziehende Truppen der schlesischen Armee geben dem Volke die Beruhigung, daß das Land jetzt sicher sei. Wie schwach der Originaltext Lortzings ist, sieht man deutlich daran, daß selbst diese L’Arrongsche Bearbeitung, in der doch sicherlich alles augeboten ist, den Stoff unserem Geschmack anzumessen, noch ihre großen Mängel hat. Da ist der Tugendbold Reinhard, dem der ausgemacht-schlechte Wolfram gegenübergestellt wird, beides Gestalten, die immer und überall zu finden sind. Da sind ferner die unglaublichsten günstigen und ungünstigen Zufälle, ohne die es einfach nicht weiter gehen würde. Kurz, die trockene alte Opernschablone hat durchweg herhalten müssen. Relativ ist die Umarbeitung aber doch nicht ungeschickt gemacht. Sie paßt gut zur Musik, läßt nirgends einen Widerspruch zwischen dem Vorgang und dem, was in der Musik ausgedrückt ist, auftauchen. Allzuviel ist es allerdings nicht, was sich in dieser Musik an lebendigem Ausdruck, an charakteristischer frischer Melodik auftreiben läßt. Die Ouvertüre und der ganze erste Aufzug sind sehr schwach in der Erfindung, einzig ein kleiner Schnittertanz mutet einigermaßen ein. Der ganze zweite Aufzug dagegen ist ein echter tüchtiger Lortzing. Ganz kostbar ist der Aktschluß gemacht; die trunkenen Soldaten fallen einer nach dem andern in Schlaf und lallen endlich nur noch unartikulierte Töne, die das Orchester schließlich witzig aufgreift. Der letzte Aufzug fällt gegen den zweiten ziemlich ab. Erst gegen den Schluß hin hebt sich die Stimmung, und das große Schlußensemble mit dem populär gehaltenen “Auf, rüstet euch”, dem sich der auf der Bühne in Beethovenscher Originalinstrumentation geblasene York-Marsch anschließt, ist sehr wirkungsvoll.
Es folgt hier der Theaterzettel der Berliner Uraufführung
Die Aufführung war in jeder Beziehung vortrefflich vorbereitet, verlief im großen und ganzen recht gut und verhalf dem Werk zu durchschlagendem Erfolg. Namentlich nach dem zweiten Aufzug, dem weitaus wertvollsten Teil des Werkes, wurde lebhaft applaudiert. Die Hauptdarsteller erschienen mehrfach an der Rampe; das Hausgesetz schien zur Feier des Tages außer Wirkung gesetzt worden zu sein.
Gelegentlich der Erstaufführung von Lortzings nachgelassener Oper “Regina” ist der Name zu nennen, dessen bemerkenswerte Mitarbeiterschaft nicht vergessen werden darf. Wir meinen hier Richard Kleinmichel, der das Lortzing-Werk bühnengerecht und aufführungsfähig machte. Nicht viel länger als den vierten Teil eines Jahres hatte Lortzing dazu gebraucht, um die Partitur der “Regina” fertig zu stellen; flüchtiger als sonst war der Komponist zu Werke gegangen, keine bevorstehende Aufführung verleitete ihn, noch einmal ernsthaft daran zu gehen, die letzte Feile anzulegen: die Folge davon war, daß Lortzing kein unvollendetes, aber ein ziemlich unfertiges Werk hinterließ. So begegnen wir in der Originalpartitur kaum einem einzigen Vortragszeichen, selten einer Tempoangabe, und vor allem fehlt ein sehr wichtiger Faktor bei einer Lortzing-Oper: eine genügende erschöpfende Nummereinteilung. Ebenso lassen viele Stellen, besonders im Orchester, die letzte künstlerische Hand ihres Schöpfers vermissen; der letzte künstlerische Strich, der beispielsweise durch zu schwaches Zeichnen einer oder der anderen Stimme bedingt war, fehlte. Hier hat nun Kleinmichel, ein feiner Lortzing-Kenner und bewährter Specialist auf diesem Gebiete, das fehlende ergänzt und in pietätvollster Form nachgeholfen. Es ging dabei auch nicht eine Lortzing-Note verloren, und nur zum Schluß, wo auf Wunsch des Kaisers der Yorksche Marsch eingefügt wurde, mußten dem neuen, von Kleinmichel nachkomponierten Schluß zuliebe etwa ein Dutzend Takte der Originalpartitur zum Opfer fallen. Im übrigen war Richard Kleinmichels “Regina”-Arbeit damit noch nicht beendet. Auf Wunsch des Monarchen hat die Marinekapelle, die stete Reisebegleiterin Kaiser Wilhelms, die “Regina” mit ihrem volkstümlichen Melodien in ihr Repertoire aufgenommen und Kleinmichel schrieb zu diesem Zwecke ein Potpourri für Militärmusik. Richard Kleinmichel, Komponist und Pianist, geb[oren] den 31. Dezember 1846 ist den 18. August 1901 gestorben.
Von bemerkenswerten neuerlichen Vorgängen, die sich um Albert Lortzing gruppieren, seien die folgenden hervorgehoben.
Am 30. Juni und am 1. Juli 1900 fand in Pyrmont unter Teilnahme der Fürstlichen Familie und Anwesenheit des Sohnes des großen Meisters, Hans Lortzing, ein großes Lortzing-Musikfest statt, bei welcher Gelegenheit nur Lortzing-Kompositionen, die erste und letzte Oper des Dichterkomponisten “Ali Pascha von Janina” und “Die Opernprobe”, sowie Lortzings Oratorium “Die Himmelfahrt Jesu Christi” zur Aufführung kamen. Ein Prolog von dem Prinzen Emil von Schönaich-Carolath wurde gesprochen von Frau Direktor Pook.
Montag, den 21. Januar 1901, am fünfzig jährigen Todestage Lortzings, vereinigten sich seine Freunde und Verehrer an seinem Grabe auf dem Sophien-Kirchhof zu Berlin zu einer ernsten Feier in engerem Kreise. Ergreifende Worte sprach dabei Hoftheaterdirektor a.D. Carl Friedrich Wittmann. Kränze mit passenden Gedenkworten auf den Schleifen spendeten dabei die Berliner Generalintendantur der Königlichen Schauspiele, die Schlaraffia u.a.m. Der anwesende Sohn Hans Lortzing betonte dabei dankend: wie er als fünfjähriger Knabe hier an der offenen Gruft gestanden, so trete er jetzt als gereifter Mann trauernd aufs neue zu ihr heran. –
Wieder in Pyrmont, dessen Bühne Lortzing von 1827-33 als Darsteller angehört hatte, wurde dem Meister am 29. und 30. Juni 1901 das erste Denkmal errichtet. Auf hohem Sockel erhebt sich seine Marmorbüste von Professor Uphues in Berlin. Sonnabend, den 29. Juni bildete die Einleitung der Feier der am 31. Dezember 1841 in Leipzig zuerst gegebene “Casanova”, komische Oper in drei Aufzügen von Albert Lortzing, in folgender Besetzung: Casanova – Herr Robert Philipp, königlicher Sänger, Berlin. Busoni – Herr R. Bartram, Kassel. Rosaura – Frau Knorr-Jungk, Kassel. Gambetto – Herr Bischoff, Köln. Rocco – Herr Direktor Schubert, Hannover. Bettina – Frau Porst, Kassel. Peppo – Herr Grahl, Braunschweig. Fabio – Herr Franke, Pyrmont. Dirigent: Fürstlicher Kapellmeister Meister. Am Sonntag, den 30. Juni mittags zwölf Uhr versammelte sich zur feierlichen Enthüllung der ganze festliche Kreis vor dem von Professor Uphues wundervoll ausgeführten Denkmal. Schmetternde Fanfaren verkündeten den Anfang der Feier, dann erklang das Sextett aus “Czaar und Zimmermann”, dessen Text von Theodor Rehbaum dem Zweck entsprechend umgedichtet war. Nun hielt der Ehrenpräsident des Pyrmonter Komitees, Freiherr von Hundelshaufen, die Weiherede, und als auf einen Wink der Fürstin die Hülle sank, erklangen Völlerschüsse, die Musik fiel ein und auch die Sonne lachte nun festlich, während sie sich vorher hinter Wolken geborgen hatte. Die hohe Protektorin, Fürstin Bathildis, legte selbst den ersten Kranz am Denkmal nieder und Deputationen von allen Seiten spendeten unter Ansprachen Lorbeerkränze mit prächtigen Schleifen. Den Kranz des Berliner Lortzing-Denkmalkomitees legte der Festdirigent, fürstlicher Kapellmeister Ferdinand Meister nieder und sprach den Wunsch aus, daß auch in Berlin das Denkmal bald erstehen möge. Zum Abschluß erklang das Finale des dritten Aufzugs aus “Undine”. Das Fürstenpaar wohnte auch in diesem Jahre allen Veranstaltungen bei und zeichnete Herrn Professor Uphues, die Mitwirkenden, sowie den einzigen noch lebenden anwesenden Sohn des Tondichters, Hans Lortzing, in huldvoller Weise aus.
Die Enthüllungsfeier einer Gedenktafel an Lortzings Geburtsstätte in der Breitenstraße zu Berlin an Lortzings hunderstem Geburtstage, den 23. Oktober 1901, nahm einen großen Umfang an. Ich ziehe einen Festbericht der Berliner “Post” zu Rate. “In aller Frühe schon that der große Lortzing-Tag eine strahlende Heiterkeit wie einen goldenen Mantel um. Natürlich zum hundertsten Geburtstage Lortzings durfte auch der Himmel ein Übriges leisten. Aus der Höhe jubilierte das klare Blau, die über Alt-Berlin allmorgendlich kreisenden Taubenschwärme schossen wie Freudenboten dem ersten Frührot entgegen und tauchten die weiße Unschuldsbrust in den Purpurglanz des Festtages. Und als endlich Frau Sonne über die Dachfirsten Berlins herüberblinzelte, funkelten die Monumentalreihen der Fenster am Königlichen Schlosse auf und warfen ihren Wiederschein auf die Gebursstätte des Centenarmannes Lortzing. Der mächtige Schlüter-Bau blickte stolz, aber nicht ungnädig in die Breitenstraße hinein, wo ein gelinder Herbstwind die Hülle vor der Gedenktafel bauschte und leise durch die zur Feier befohlenen Lorbeerbäume strich. Da lag auch der Festplatz in voller Sonne. Endlich nach hundert Jahren nichts als Wohlklang, Wohlgefallen und Feierlichkeit! Die Stätte, auf welcher sich einst das Geburtshaus Lortzings erhoben hatte, bot Vormittag einen überraschend schönen Anblick. Rundkronige Lorbeerbäume und spitz aufschießender Kirschlorbeer umrahmten den Platz vor dem Erweiterungsbau des Kaufhauses Rudolf Herzog. Der äußerste Pfeiler der stattlichen Front, die gegen das Ermeler-Haus stößt, war zu der Ehre ausersehen, die Gedenktafel in der Höhe des ersten Stockwerkes zur Schau zu tragen. Unmittelbar darunter war auf dem Bürgerstaig der Breitenstraße ein Podium erbaut und mit kostbaren orientalischen Teppichen drapiert und auch über den Fahrdamm hinweg, sogar über die Schienen der Straßenbahn breiteten sich rote Teppiche, was einen ungemein feierlichen Eindruck machte. Hier hatten die zahlreich erschienenen Damen auf den Stuhlreihen Platz genommen. In der vordersten Reihe pardierten die Damen aus der Familie Lortzing, die Nichten des Tondichters und deren Descendenz. Ferner waren die beiden Neffen Lortzings erschienen, Professor Dr. Franz Lortzing, Oberlehrer am Sophien-Gymnasium und Vorsitzender des Gymnasiallehrer-Vereins, und der Kaufmann Karl Lortzing. In unmittelbarer Nähe des Rednerspodiums aber stand der jüngste Sohn des verewigten Meisters, der Schauspieler Hans Lortzing, hochragend wie einst sein Vater, und auch die scharfen Charakterlinien des Profils erinnerten an den einstigen Kapellmeister der Friedrich-Wilhelmstadt. Kurz vor zehn Uhr betrat der Generalintendant der Königlichen Schauspiele, Graf Hochberg, den Festplatz und überbrachte persönlich einen Lorbeerkranz des Kaisers. Auf den weißseidenen Schleifen der kaiserlichen Kranzspende prangten in Goldschrift die Initialen des Monarchen. Geheimer Regierungsrat Henry Pierson legte namens der Generalintendantur gleichfalls einen mächtigen Lorbeerkranz nieder, auf dessen schwarzweißen Streifen zu lesen war: “Dem Genius Albert Lortzings zum hundertsten Geburtstag die Generalintendantur der Königlichen Schauspiele. Berlin, den 23. Oktober 1901.” Die staatlichen Behörden wurden durch den Geheimen und Ober-Regierungsrat Friedheim vertreten. Für das Theater des Westens erschien Direktor Max Hofpauer; für die seit 1792 hier bestehende Theatergesellschaft “Urania”, in der Lortzing seine ersten Lorbeeren errungen, ein Mitglied des Vorstandes, Herr Röse. Auch der Professor Paul Meyerheim war zugegen. Das Haus und die Familie Rudolf Herzog vertraten vertraten Herr Meisemann und General Bartels. Natürlich war auch das Komitee zur Errichtung eines Lortzing-Denkmals mit zahlreichen Vertretern am Platze. Das Philharmonische Blasorchester begann unter der Leitung des Herrn von Blon die Feier. Hell schmetterten die Klänge der Festouverture von Albert Lortzing über die Breitenstraße und hallten an der hohen Front des Königlichen Marstallswieder. Eine frisch quellende Fröhlichkeit, eine starke Herzlichkeit und dann ein träumerisches Schweben, ein feierliches Schreiten klang aus der Ouverture in die sonnige Höhe empor. Dann ergriff Hoftheaterdirektor a. D. Carl Friedrich Wittmann das Wort zur Festrede: “Wenn wir uns heute so zahlreich an diesem Orte versammeln, so darf wohl eine innige Freude unser Herz erfüllen. Wir bringen gerade am heuigen Tage zum Abschluß, was sich durch Jahrzehnte hindurchgerungen: die Anerkennung eines schöpferischen Geistes als einer Gestaltungskraft allerersten Ranges. Noch vor einem Jahrzehnt durfte man es wagen, Lortzings mit einem vornehmen Achselzucken als eines Komponisten untergeordneten Ranges zu gedenken. Nicht genug, daß sich sein Leben durch Kummer und Trübsal hindurchgerungen hat bis zu einem bejammerswerten Tode, unter Geringschätzung seines “Czaaren”, seiner “Undine” usw., auch die vornehme musikalische Kritik seiner Nachwelt versagte ihm den vollen Tribut der Anerkennung. Die große Menge hatte Lortzing von Anfang an ganz und voll für sich. Und nun sehen wir uns um in unserem deutschen Vaterlande. Das deutsche Volk, welches an der Spitze einer jeden künstlerischen Bewegung marschiert, ist jetzt stolz darauf einen Lortzing zu besitzen, wie es stolz auf seinen Beethoven, Mozart und Richard Wagner ist. Überall regt es sich, mit Genugthuung dürfen wir es aussprechen, für unseren großen Albert Lortzing. Gedenktafeln sind an seinem Geburts- und Sterbehaus angebracht, an vielen Stätten, selbst da, wo einst sein Kinderfuß geweilt. Die Bühnen, auch die hiesigen K”niglichen Schauspiele, bereiten in Opern-Cycklen die Hauptopern des Dichterkomponisten Lortzing zur Aufführung vor. Die Zeitungen beeilen sich, Züge aus seinem Leben mit behaglicher Breite zu erzählen. Die hervorragenden Theater Deutschlands bringen am heutigen Abend, auch die Königlichen Schauspiele und das Theater des Westens hier, durch Festaufführungen Lortzingscher Opern zum Besten seines geplanten Denkmals den Tribut der Verehrung. Ein seltsames Schauspiel enthüllt sich unserer Beobachtung. Die schärfsten Gegensätze im musikalischen Schaffen beherrschen in der Gegenwart das Interesse des Publikums. Der schwere philosophische Accent Richard Wagners wirkt neben dem melodienfrischen Lortzing. Beide weit auseinandergehende Dichterkomponisten beherrschen derart unsere Zeit, daß kein einziger anderer Tonmeister ihnen gleichkommt. Wir können für Lortzing sogar noch weiter gehen. Er steht in der Aufführungsziffer seiner Opern dicht neben Richard Wagner. Es geht ein Lortzingscher Zug durch unsere Zeit! Welch ein Triumph für unsern Lortzing! Und nun betrachten wir den Mann in seiner ganzen Einfachheit. Seine gemütvolle weiche Frohnatur spiegelt sich wieder in seinen Tönen. In seinen Werken hören wir ihn selbst. Er gab sein ganzes Herz und deshalb gewann er sich aller Herzen. Und wie bescheiden zeigte er sich, wie fehlte es ihm an einer Würdigung seines Selbst. Wie gab er in seiner Selbstunterschätzung selber seinen Gegnern Waffen in die Hand, indem er gelegentlich des Schaffens der “Undine” einem Freunde schrieb, hier fehle es ihm an Kraft zu hoher Vollendung. Und was hat er in der “Undine” wirklich geschaffen? Wie ergreift und überwältigt sie uns! Mit vollem Stolze kann das deutsche Volk ausrufen: “Er ist unser!” Indem wir hier versammelt sind, um seine in Erz gegrabenen Züge an seinen 100. Geburtstag auf einer Gedenktafel zu enthüllen, weisen wir, das Komitee zur Beschaffung eines monumentalen Denkmals des großen Komponisten, darauf hin, daß unsere Aufgabe mit dem heutigen Tage erst recht beginnt. Wir werden nimmer ermüden, die Mittel zu einem monumentalen Denkmal zusammenzubringen. Zunächst sind wir für diese Gedenktafel zum größten Dank verpflichtet und zwar dem Kaufhause Herzog, welches in hochherziger Weise die Mittel zur Beschaffung einer Gedenktafel an Herzogs Hause, Lortzings Geburtsstätte, Breitenstraße 12, zur Verfügung gestellt hat. Ehre dem Hause herzog und größten Dank!Auch allen, allen Dank, die sich sonst in dieser Sache bemüht haben! – Tiefgefühltesten und heißesten Dank Seiner Majestät, unserem Kaiserlichen Hohen Herrn, der stets bereit für alles Gute und Schöne, die Förderung Lortzingscher Musik unter Seinen besonderen Schutz genommen und so auch heute unsere Feier durch eine huldvolle Kranzspende verschönt hat. Beginnt doch am heutigen Abend in den Königlichen Schauspielen ein Aufführungscyklus der Hauptopern Lortzings.” Nu gipfelt die Festrede in einem dreifachen Hoch auf den Kaiser, als den Förderer und Erhalter von Kunst und Wissenschaft, den Schirmherrn jeder großen Sache.