NZfM 16 – 1842/1

Schmidt, Heinrich Maria: Casanova, komische Oper in 3 Akten von A. Lortzing, in: NZfM 16 (1842/1), Nr. 4, 11. Januar 1842, S. 14-16

Die musik. Kritik hat bis jetzt noch wenig Notiz von Lortzing’s Opern genommen, und doch erfreuen sich dieselben, und vorzugsweise „Czaar und Zimmermann“, einer Verbreitung, wie seit Jahren in ähnlicher Weise keine deutsche Oper. Da ich mir nicht denken kann, [/15] daß ein vornehmes Ignoriren von Seiten der Kritik die Ursache davon ist, so möchte ich allen Ernstes die musikalischen Organe dazu anregen, die Opern Lortzing’s einer genauen Beurtheilung zu würdigen und ihnen den gebührenden Platz in der musikalischen Literatur anzuweisen. Ist es doch, nach meiner Meinung, seltsam, daß der seynsollende Herold jeder neuen Erscheinung in träger Langsamkeit hinter der Stimme des Publicums herzettelt, um vielleicht erst dann in die Trompete zu blasen, wenn die Erscheinung selbst bald vergessen ist. Die Kritik soll auf jedes Neue hinweisen oder dagegen warnen, doch geschieht es erst, wenn das Untergeordnete bereits Wurzel gefaßt hat, oder das Gute wieder von Staub bedeckt ist, so ist ihr Ruf wie eine Stimme in der Wüste und nicht mehr vermögend, auf die Geschmacksrichtung des Publicums zu influiren. Der geneigte Leser erwartet nach dieser Einleitung nun vielleicht von mir eine speciellere Besprechung der obigen Oper, doch wolle er bedenken, daß ein Referent nur seine unmaßgebliche Meinung an den flüchtigen Eindruck einer Vorstellung knüpfen kann, und seine Pflicht nicht weiter reicht, als dem Publicum die Kunde von dem Dasein einer Neuigkeit zu geben und diese allenfalls mit seiner ungefähren Ansicht zu begleiten.

Was in Lortzing’s Opern überall wohlthuend hervortritt, ist die praktische, theatralische Erfahrung; die ihn bei Allem geleitet hat; dadurch ist Alles so wohlgeordnet und an seinen gehörigen Platz gestellt und jede ungebührliche Anforderung an die ausführenden Künstler vermieden. Ich führe diese Eigenschaft geflissentlich zuvörderst an, weil seit Mozart dieselbe mehr oder weniger allen deutschen Operncomponisten gemangelt hat und von denselben wohl theilweise als gänzlich überflüssig angesehen wird. Daß dieser Mangel an theatralischer Praxis und was dahin gehört aber zum frühen Tod ihrer Opern beigetragen, hat wohl Keiner in seinem künstlerischen Hochmuthe gedacht und noch weniger sich zur Warnung dienen lassen. Belege dafür liefern alle neuere deutschen Operncomponisten. –

Was die musikalische Erfindung Lortzing’s betrifft, so ist dieselbe keineswegs reich, und dürfte die Ausbeute des wirklich Neuen in seinen Opern sehr unbedeutend seyn. Am gelungensten sind stets die größeren komischen Ensembles und finden sich darin häufig sehr glückliche Züge musikalischer Komik. In launigen Arietten und Liedern ist er ebenfalls meist glücklich und weiß ihnen etwas Ansprechendes und wohl auch Pikantes zu geben; am wenigsten sagen ihm ans Ernste streifende Situationen in der musikalischen Darstellung zu, und sind dies gewöhnlich die schwächsten Partieen in seinen Opern. Das Sentimentale trifft er schon besser In der Instrumentirung muß der Hörer die Discretion lobend anerkennen, und kann diese den meisten deutschen Operncomponisten, die dem Orchester nicht genug aufgeben können, um wo möglich die Singstimmen gänzlich zu ersticken, als Muster dienen; doch läßt Lortzing nie eine Gelegenheit vorbeigehen, wo das Orchester einen komischen Effect in der Situation unterstützen kann. Zur nähern Beleuchtung dieses Details bedarf es natürlich der Einsicht in die Partitur, und dies verbleibe daher einem Kritiker,.

Mit der musikalischen Form und den Modulationen scheint es der Componist nicht immer sehr strenge zu nehmen, wenigstens kommen in dieser Beziehung dem Ohre manchmal Dinge vor, die sich im Augenblicke nicht wollen erklären lassen.

Wie Lortzing’s Verdienst als Componist von der Kritik und der Zeit nun auch geschätzt werden mag, eine Wohlthat haben wir ihm zweifelsohne zu danken, nämlich: Daß das deutsche Publicum doch auch wieder sein Augenmerk auf deutsche Opern richtet, und nicht alles desavouirt, was nicht vom gallischen Hahn uns angegakelt ist.

Was ich vorstehend im Allgemeinen über Lortzing’s Opern ausgesprochen, findet auch seine Anwendung auf dessen „Casanova“. Als gefällige, fließende Musikstücke nenne ich nach dem ersten Eindruck: die Introduction, die Romanze, das Terzett und das Finale des ersten Aktes, wie mir denn dieser überhaupt am frischesten vorgekommen ist. Im zweiten Akt heben sich ein Duett und ein Quartett vortheilhaft hervor, und schließt besonders letzteres eine Romanze ein, die ich die Perle der Oper nennen möchte. Ein Hymnus der Freiheit, in demselben Akte, ist nicht ohne Wirkung, doch fehlt der Melodie der rechte Schwung, die zündende Begeisterung, und will mir auch die malende Begleitung als zu gesucht erscheinen. Der einfache, aber tief empfundene Ausdruck eines Gefühles, das jetzt so mächtig alle Menschen beherrscht, würde unfehlbar einen tiefern Eindruck erzielt haben. Der letzte Akt ist wohl der schwächste, doch ist auch nicht zu verschweigen, daß die Situationen dem Componisten wenig Gelegenheit mehr bieten, sein Talent geltend zu machen; an hübschen Einzelnheiten fehlt es jedoch auch hierin nicht. Die Ouverture faßt nach der neuern Art die Hauptmotive der Oper in sich und dürfte, etwas zusammengezogen, die beste sein, die Lortzing bis jetzt geschrieben. – Die Aufführung darf als eine durchaus vortreffliche bezeichnet werden und möchte wohl schwerlich noch eine deutsche Bühne die dazu erforderlichen Kräfte also passend dazu besitzen. Die Hauptpartieen waren folgender Weise besetzt: Hr. [Heinrich Maria] Schmidt, Casanova; Hr. [Gotthelf Leberecht] Berthold, Kerkermeister Rocco; Frl. [Caroline] Günther, Bettina; Hr. [Heinrich] Stürmer, Busoni; Hr. [Albert] Lortzing, Gambetto; Frl. Kreutzer, Rosaura; Hr. Linke, Peppo. –

Die Oper fand die freundlichste Aufnahme und dürfte noch oft über unsre Bühne schreiten. –

NZfM 17 – 1842/2