NZfM 18 – 1843/1

Schmidt, Heinrich Maria: Der Wildschütz, oder: Die Stimme der Natur. Komische Oper in 3 Acten, Musik von G. A. Lortzing, in: NZfM 18 (1843/1), Nr. 6, 19. Januar 1843, S. 23-24

Diese neueste Oper des fleißigen Componisten wurde am Sylvesterabend zum ersten Male gegeben, und ist bis heute bereits zweimal wiederholt worden. Der Erfolg war ein glänzender, und dem Anscheine nach wird diese „Stimme der Natur“ bald von den meisten der deutschen Bühnen heruntertönen. Lortzing, der wie bekannt auch seine Opernbücher selbst und nach ältern Lustspielen bearbeitet, hatte diesmal eine glückliche Hand, als er den „Rehbock“ von Kotzebue dazu wählte. Das Stück ist rech an drastischen Scenen und Lortzing hat es mit großer Geschicklichkeit in eine Oper umzuwandeln gewußt; eine Aufgabe, die weitem schwieriger ist, als man gemeiniglich glaubt. Man wird vielleicht hier und da den Vorwurf erheben, daß Einzelnes ein wenig ins Gebiet der Tote hinüber streift, doch kann man leider nicht in Abrede stellen, daß Lortzing darin nur de Anforderungen des großen Publicums entgegenkam, dessen verwöhnter Gaumen nur noch von stark gewürzten Speisen gekitzelt wird, und auf das nur effectuirt, was recht grobdrähtig ist und wie Faustschläge trifft. Dem herrschenden Geschmacke des Publicums aber eine andere Richtung zu geben, ist nur einem Genie vorbehalten. Für einen Mißgriff erachten wir dagegen, daß Lortzing in der Person der Gräfin die Schwärmerei für die Antigone persiflirt; da nothwendig diese Persiflage in allen den Städten, wo die Antigone nicht gegeben wurde, ohne Erfolg bleiben muß. Etwas allgemein Betreffendes würde ohne Zweifel zweckmäßiger gewesen sein.
Die Musik dieser Oper ist die Frucht eines leichten, gefälligen Talentes, das von praktischer Bühnenkenntniß kräftig unterstützt wird. Wer sich bei derselben auf den kritischen Dreifuß setzen will, wird keine große Rechnung finden, denn sie erwärmt weder das Herz durch tiefes Gefühl, noch beschäftigt sie den Geist durch neue Ideen. Lortzing singt leicht und unbekümmert vor sich hin, zwar [/24] stets der Situation angemessen, aber nur in wenigen Fällen dieselbe erhebend. Seine Weise ist liebenswürdig und unterhaltend, und wo es auf einen musikalischen Spaß ankommt, da trifft er sicher und weiß die Lachmuskel in Bewegung zu bringen. Außerdem ist er am glücklichsten in größern Ensemblestücken und im Liede; in ersteren zeichnet er sich durch Gewandtheit und leichte, gedrängte Behandlung aus, und in letzterm durch einen populären, treffenden Ton.

In der Form und der Instrumentirung haben wir einen entschiedenen Fortschritt in dieser Oper wahrgenommen. Wird Lortzing auch nicht viel zum neuen Erblühen der deutschen Oper beitragen, so sorgt er doch für das tägliche Bedürfniß und hält den Geschmack des Publicums wenigstens auf der Stufe, auf welcher es sich jetzt befindet, wofür ihm mit Recht der Dank und Beifall der Theaterbesucher zukommt.
So viel und vorläufig für heute. Eine speciellere Würdigung behalten wir uns nach genauerer Kenntniß der Oper vor.


Aus Cöln, in: NZfM 18 (1843/1), Nr. 50, 22. Juni 1843, 200-202

S. 202: […] Die jüngste Gabe des Singspiels ist Lortzing’s Wildschütz, die unter neuen Masken auftretenden „schuldlosen Schuldbewußten“, eine Gabe, welche keineswegs zusagen mochte. Das Buch, in der Anlage wie in einzelnen Späßen das Sittlichkeitsgefühl verletzend, mag theilweise die Schuld getragen haben, aber auch die Musik, welche gar zu flach an einander geheftet, aus lauter Anklängen an Bekanntes besteht und aller Tiefe in ihrer Bearbeitung entbehrt, trägt mit an derselben. Selbst einige humoristische Genieblitze, die wohl des Beifalls verdient hätten, zündeten nicht, weil man von dem Verfasser des Czaaren ganz andere Dinge erwartet hatte, die nun nicht im mindesten eingetroffen waren.

NZfM 19 – 1843/2