Kapittel 1

“Lortzing ist einer von den Musensöhnen, die nicht im Lehnsessel groß geworden sind; aber der Tod streckt die Leute, und mancher, der im Leben eng und gedrückt einherging, braucht einen größen Sarge. Lortzing wächst im Sarge.”

Der das schrieb, zwar ein Meister der komischen Oper, einer der die neue Kunst mit Schaffen half und doch warmen Herzens des älteren Meisters gedachte, als man nach seinem Tode Konzerte zum Besten der in Not zurückgelassenen Familie veranstaltete. “Denke dir” – schreibt er in der Besprechung eines solchen – “Lortzing und Hans Sachs – fünfte Etage, Dachstübchen, Stiefelleisten, Kindergeschrei, dabei Pech und wieder Pech, und dann denke dir die Muse, die plötzlich einmal zur Dachluke hereinlächelt und dem guten, lieben Schuh- oder Tenormachergesellen verstohlen die Hand drückt und sich dann selbst wieder drückt; und dann denke dir ein Lied wie das Zarenlied in aller Leute Mund, und wenn so ein guter Familienvater von der Reise heimkehrt, wie dann die Kinder singen: Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen! Und wie noch nach Jahrhunderten vornehme Leute und große Dichter dem Schuster nachsingen und ihm Apotheosen schreiben – siehst du, das ist auch Poesie. Diese Blume wächst überall, wo ein gesundes Herz guten Boden hergibt, und am besten gedeiht sie,wenn sie mit edlem Wein oder heißen, bittern Tränen genetzt wird.”

Ein Geistes-und Schicksalsverwandter mußte es sein, der so schöne und wahre Worte für den schlichten Lortzing finden konnte, einer, den auch erst der Tod gestreckt hat, der selbst im Sarge gewachsen ist: Peter Cornelius.

Und mit dem prophetischen Blick des Dichters hat er vorausgehen, was außer ihm damals wohl nur ganz wenige geglaubt haben, dass Lortzing, den man immer nur für einen Mann der Tages nahm, fortleben, dass er mit seinen anspruchslosen Opern einen dauernden Platz nicht nur auf den Bühnen, sondern auch im Herzen des Volkes gewinnen würde.

Man hat lange mit einer gewissen Geringschätzung auf die Werke der heitern Kunst im allgemeinen herabgesehen, und mehr als irgendeiner hat Lortzing, der nicht einmal zu den zünftigen Musikern zählte, unter dem Vorurteil leiden müssen. Man belächelte seine handwerksmäßige Versmacherei, und der junge Hans von Bülow spricht von dem “Dittersdorf redivivus, dessen musikalische Sprache den gebildeten Musiker heute nach kurzer Zeit schon mit Widerwillen erfüllen darf.” Schumann schreibt “Lortzings Opern machen Glück – mir beinahe unbegreiflich”, und Liszt nennt es einen “abgeschmackten Einfall”, als er 1851 den “Zar” in Weimar zur Aufführung bringt.

Bülow sagt dann aber noch: “Dennoch kann dem unermüdlichen Arbeiter die Achtung nicht versagt werden, welche die Kritik seinen Versuchen selbst bei Lebzeiten gezollt hat, und welche der relative Wert derselben hauptsächlich dadurch beanspruchen mag, dass Lortzing bei der Auswahl seiner Stoffe und Bearbeitung seiner Textbücher ein verständiges Verhältnis zum Komponisten zu wahren suchte.”

Auch Wagner spricht von dem “geschickten Lortzing” nur mit Bezug auf die Gestaltung seiner Operntexte, erkennt aber doch seine historische Bedeutung an, indem er einmal vorschlägt, dem Publikum die geschichtliche Entwicklung der deutschen komischen Oper zu zeigen durch Vorführung der “Jagd” von Hiller, des Doktor und Apotheker” von Dittersdorf, denen “Zar und Zimmermann” und “Die Meistersinger” folgen sollten.

Mit weiser Selbsterkenntnis, um die ihn mancher beneiden könnte, beharrte Lortzing sein Leben lang auf einer bescheidenen Stufe des Kunstschaffens. In einem Stück eigener Lebensbeschreibung sagt er, nachdem bereits vier seiner Opern erfolgreich aufgeführt waren, dass er es nicht wage, “mit einer durchgängig ernsten Komposition vor das Publikum zu treten”. – Und wenn ihn sein Streben auch immer wieder zu Arbeiten höheres Stiles trieb, – “Caramo”, “Undine”, “Regina”, und “Rolands Knappen” bezeugen es – so unterließ er doch nie, durch Einfügung komischer Figuren und Beibehaltung des gesprochenen Dialogs genau die Grenzlinie zu bezeichnen, über die er nicht hinaus wollte. Mit der Bescheidenheit des wahren Künstlers und der Beschränkung, in der sich der Meister zeigt, hat er sich immer nur innerhalb seiner besonderen Begabung betätigt. Seine große tragische Oper “Die Schatzkammer des Ynka” hat er nie an Tageslicht gebracht, wie es scheint, selbst vernichtet; auch sein Oratorium ist bisheut unveröffentlicht geblieben.

Anderseits hat er auch wiederum durch keiner Erfolg auf dem Gebiete der Komik sich verleiten lassen, den niederen Instinkten der Masse nachzugeben; auch hier hält er mit gesundem Sinn, die Linie des künstlerisch Zulässigen und Ästhetischen inne, die leider nur seine Darsteller zuweilen überschreiten. So fruchtbar und fleißig Lortzing war, nie ist er zum spekulativen Vielschreiber geworden, nichts hat er ohne innere Nötigung geschrieben. Keine Lebensnot hat ihn zum Aufgeben eines künstlerischen Prinzips vermocht: auch die flüchtigst hingeworfenen Partituren zu Possen und Einlagen zeigen sorgfältige und saubere Arbeit. Und so ausgesprochen er für das Volk schrieb und so sehr er auf den Ertrag seiner Arbeiten angewiesen war, nirgends finden wir bei ihm ein Zugeständnis an den schlechten Geschmack. Bei aller Luftigkeit wird er nie zum Possenreißer, bei aller Verfänglichkeit der von ihm bearbeiteten Stücke nie frivol, bei aller Derbheit, die den altfränksichen Originalen seiner Operbücher anhaftet, nie gemein. Dies taktvolle Maßhalten innerhalb einer Kunstgattung, bei der die Ausartung so verführerisch nahe liegt, kennzeichnet Lortzing als einen Charakter unter den Künstlern, und dies Lob zählt doppelt bei ihm, weil er es sowohl als Musiker wie auch als Textverfasser in Anspruch nehmen kann. Wir dürfen uns der Heiterkeit, die er erweckt, unbedenklich hingeben und haben unser Lachen nie zu bereuen.

Der Humorist Lortzing war eben, wenn er an seine Arbeit ging, des ganzen Ernstes fähig, der nach Peter Cornelius Wurzel, Grundlage, Herz und Nerv des Kunstwerks ist; und dieser Ernst der Gesinnung ist es, der auch Lortzings Heiterkeit und seine anspruchslosen Schöpfungen adelt.

Kapittel 2